"La Pivellina": Dokudrama vom Rande der Gesellschaft
Wie die zweijährige Asia in den kleinen Park gekommen ist, weiß niemand. Auf dem Zettel, den die resolute Patti in ihrer Jackentasche findet, steht nur, man möge sich um sie kümmern, sie werde bald wieder abgeholt. So beginnt der Film von Tizza Covi und Rainer Frimmel, der jetzt in die Kinos kommt. In ihrem ersten Spielfilm erzählen die Regisseure vom Leben am Rande der italienischen Gesellschaft und verlassen sich dabei ausschließlich auf die unaufdringliche Faszination des Alltäglichen.
26.05.2010
Von Raimund Gerz

Patti mit den knallroten Haaren und ihr Mann Walter haben mit ihrem Kleinzirkus nebenan ihr Winterquartier aufgeschlagen. Und die warmherzige Frau weiß, dass das Kind jetzt nicht die Polizei und das Jugendamt braucht, sondern trockene Windeln, etwas zu essen und seinen Mittagsschlaf.

Mit dieser Exposition ist die Geschichte des Films auch fast schon zu Ende erzählt. Eine Handlung oder eine Entwicklung gibt es nicht, es sei denn die, dass das Zirkuspaar und der elternlose Nachbarsjunge Tairo das Kind ins Herz schließen und den Tag fürchten, an dem die unbekannte Mutter es wieder abholen wird.

Kontrapunkt zu pseudodokumentarischen Prekariatssoaps

Dieser weitgehende Verzicht auf ein narratives Gerüst ist mutig. Covi und Frimmel setzen damit einen Kontrapunkt zu den pseudodokumentarischen Prekariatssoaps privater Fernsehsender. Der Film spielt in einem römischen Vorort in einer tristen Winterwoche. Auf dem Areal, wo sich Patti und Walter niedergelassen haben, leben Menschen, die kaum Verbindung zur bürgerlichen Welt außerhalb haben. Sie bilden ein Soziotop, in dem Solidarität und spontane Hilfsbereitschaft überlebensnotwendig sind.

Und so nimmt man dem Film auch die dramaturgische Prämisse ab, dass "Pivellina", die Kleine, nicht gleich bei der Polizei abgeliefert, sondern in die Kleinfamilie aufgenommen wird. Verstärkt wird der authentische Grundzug des Films dadurch, dass die Darsteller sich selbst spielen und in ihrem gewohnten Umfeld agieren. Nur Patrizia Gerardi und Walter Saabel bringen eine gewisse Erfahrung mit, sie standen bereits in der Zirkus-Dokumentation "Babooska" (2005) vor der Kamera des Regie-Paares.

Dokumentarische Filmsprache mit Hang zur Sozialromantik

Die ästhetischen Mittel erinnern an die Filmsprache der belgischen Brüder Dardenne, auch wenn bei diesen das erzählerische Moment stärker im Vordergrund steht. Auch Covi und Frimmel mischen dokumentarische und fiktionale Teile, die Dialoge wirken improvisiert, auf Musik wird verzichtet. Die Handkamera bewegt sich schon wegen der räumlichen Enge nahe an den Protagonisten und nimmt den Zuschauer mit hinein in das Milieu.

Und dieses Milieu, das bisweilen mit einem Hang zur Sozialromantik gezeichnet wird, hat auch latent harte Züge. In der stärksten Szene des Films führt Walter den halbwüchsigen Tairo, der sich mit einem anderen Jungen prügeln will, in Technik und Philosophie des Boxens ein: Erfolgreich sein könne dabei nur, wer bereit sei, dem anderen Schmerzen zuzufügen.

Im Verlauf des Geschehens rückt die Pivellina - ein im Übrigen sehr pflegeleichtes Kind - immer mehr in den Mittelpunkt. Das wird nicht jedem Zuschauer genügen. Den Besuchern und Juroren diverser Festivals hat es gefallen: "La Pivellina" wurde weltweit reichlich mit Preisen bedacht.

Regie: Tizza Covi, Rainer Frimmel. Buch: Tizza Covi. Mit: Tairo Caroli, Asia Crippa, Patrizia Gerardi, Walter Saabel. 105 Min. FSK: ohne Altersbeschränkung, ff.

epd