"Rabenmütter" abschaffen statt Mütterquoten einführen!
Wie lässt sich das Sinken der Geburtenrate in Deutschland stoppen? Der Schlüssel liegt in ausreichenden und bezahlbaren Betreuungsangeboten. Ohne sie ist auch eine Mütterquote in Unternehmen, wie sie Politiker der CSU jetzt forderten, nichts wert. Frankreich macht es seit Jahrzehnten vor, wie Familie und Beruf vereinbar werden.
26.05.2010
Von Birgit Holzer

"Eine Raben-Mutter? Was soll das denn sein?" Wer von einer Französin wissen möchte, ob es in ihrem Umfeld gesellschaftlich anerkannt sei, wenn Mütter ihre Säuglinge Wildfremden anvertrauen, um bald nach der Geburt wieder in den Beruf einzusteigen, erntet Unverständnis: warum denn nicht? Mehr noch: Er wird nicht einmal die passenden Worte finden, um die Diskussion, die in Deutschland lange geführt wurde, zu erklären.

Eine gängige französische Übersetzung des so gängigen deutschen Wortes "Rabenmutter" gibt es nicht. Ebenso wenig ist die Rede von einem psychischen Knacks bei Menschen, die in ihrer Kindheit tagsüber in Krippen untergebracht wurden. Das sagt eine Menge über das unterschiedlichen Blick auf Beruf und Elternschaft in beiden Ländern aus.

Bewunderung für arbeitende Mütter

Eine - vielleicht sogar mehrfache - Mutter, die arbeitet, wird in Frankreich nicht kritisiert, sondern bewundert. Zumindest ebenso sehr wie ein Vater, der seinem Beruf nachgeht. Aufsehen erregt beides nicht – es ist schlichtweg normal. Eine Entscheidung zwischen Kind und Karriere, zwischen beruflicher und familiärer Erfüllung muss zumeist weder eine Frau noch ein Mann treffen.

Die Politik bemüht sich seit Jahrzehnten, beides miteinander zu vereinbaren und entsprechende Strukturen zu schaffen, besonders hinsichtlich der Betreuung der Kleinsten. Mit so großem Erfolg für die Entwicklung der Demografie, dass sich der Blick auf den linksrheinischen Nachbarn lohnt.

Auch in Deutschland rückt man vom traditionellen Familienmodell ab, nach dem der Mann als Haupternährer für Frau und Kinder sorgt. Wer berufstätige Mütter mit "Rabenmüttern" gleichsetzt, disqualifiziert sich inzwischen selbst als rückwärtsgewandt. Und doch haben diese es nach wie vor schwerer als ihre französischen Geschlechtsgenossinnen.

Nur jede vierte Akademikerin bleibt kinderlos

Das fängt bei der Akzeptanz in der Firma an, geht bei der Furcht vor dem Karriereknick weiter und endet immer bei der Betreuungsfrage. Deshalb lassen sich gerade gut ausgebildete Frauen häufig nicht auf den Spagat zwischen Beruf und Familie ein und verzichten ganz auf Nachwuchs: Während in Deutschland 40 Prozent der Akademikerinnen kinderlos bleiben, sind es in Frankreich nur 24 Prozent.

Solche vielsagenden Zahlen-Vergleiche lassen sich fortsetzen: Brachte in Deutschland im vergangenen Jahr eine Frau durchschnittlich 1,33 Kinder zur Welt, waren es in Frankreich 1,9 – das ist neben Island und Irland europäische Spitze. Wichtiger noch: Diese Rekord-Geburtenrate hält sich seit 25 Jahren auf konstant hohem Niveau. Frankreichs Bevölkerung wächst jährlich um rund 350.000 Menschen an, während die Deutschen seit 1970 immer weniger werden. Bis 2050 könnte Frankreich das bevölkerungsreichste Land Europas sein. Der Prozentsatz an Zuwanderern, die traditionell kinderreicher sind, hält sich dabei in beiden Ländern etwa die Waage. Darauf, sind sich Soziologen einig, lässt sich die Diskrepanz also nicht zurückführen.

Familie ist Sache des Staats

Aus Furcht vor einem übermächtigen, geburtenstarken Deutschland führte Frankreich Anfang des 20. Jahrhunderts familienfreundliche Maßnahmen ein. Vor allem aber versäumte es auch nicht, seine Familienpolitik rechtzeitig an die gesellschaftlichen Realitäten anzupassen: Seit den 70er-Jahren werden bewusst Zweiverdiener-Ehen gefördert, ebenso wie kinderreiche Familien. Ab dem dritten Kind gibt es massive finanzielle und steuerliche Vorteile. Familie ist keine Privat- sondern Staatssache. Und so stellen Kinder im Idealfall kein Armutsrisiko dar.

Doch finanzielle Unterstützung ist die eine, die Sorge um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie die andere, wohl entscheidende Frage. Schon für Kinder unter drei Jahren gibt es in Frankreich zahlreiche Möglichkeiten der professionellen und bezahlbaren Halb- oder Ganztagsbetreuung. Sie mögen noch nicht ausreichen, werden aber ausgebaut. Alleinerziehenden kommt das ebenso entgegen wie Elternpaaren. Auch wenn zugegebenermaßen ein Grund für den schnellen Wiedereinstieg in den Beruf darin liegt, dass sich viele eine längere Auszeit schlichtweg nicht leisten können.

Und doch liegt genau in der Antwort auf die Betreuungsfrage der Schlüssel des Erfolgs. Da Frauen (und Männer) durch Nachwuchs nicht vom Arbeiten abgehalten werden, hält die Arbeit sie auch nicht vom Kinderkriegen ab. Das sollte auch in Deutschland Schule machen. Ohne gute Betreuungsangebote sind Mütterquoten in Unternehmen, wie sie nun gefordert werden, nichts wert. Wer weiß - vielleicht brauchen wir eines Tages das Wort "Rabenmutter" nicht mehr.


Birgit Holzer ist Frankreich-Korrespondentin für Tageszeitungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.