Demenz: Im Krankenhaus den Regenschirm immer dabei
Jeder siebte Krankenhauspatient leidet zusätzlich an Demenz. Das stellt die Kliniken vor besondere Herausforderungen. Immer mehr Mitarbeiter werden deshalb speziell geschult.
21.05.2010
Von Michael Ruffert

Hannelore Weber (Name geändert) hat strähnige, graue Haare. Wenn sie durch die Gänge läuft, hebt sie in einem Körbchen in ihrem Rollator immer eine Bürste auf - und einen Regenschirm, falls das Wetter schlecht wird. Die 81-Jährige ist zwar wegen einer Darmoperation auf die Chirurgiestation West im Krankenhaus im westfälischen Lübbecke eingeliefert worden, leidet aber zusätzlich an Demenz. Und das ist das Problem.

"Hier geht es lang, Frau Weber. Da, wo das Bild mit der Blume an der Tür klebt, ist Ihr Zimmer", weist die stellvertretende Stationsleiterin Anita Bohn der verwirrten Seniorin den Weg zurück ins Bett. Die Krankenschwester hat gelernt, wie man mit dementen Kranken umgeht. Denn es kommt immer häufiger vor, dass Patienten, die mit Brüchen, einer Lungenentzündung oder Herzbeschwerden eingeliefert werden, zugleich an dementiellen Veränderungen leiden, wie es in der Fachsprache heißt.

Zwei Modellstationen

Das Lübbecker Krankenhaus hat sich dem Problem dieser Nebendiagnose Demenz gestellt. "Wir haben die Mitarbeiter in zwei Modellstationen im Umgang mit Demenzkranken geschult", erläutert Pflegedienstleiter Cornelus Siero. Nach den Aufnahmegesprächen wird mit einem Fragebogen, Tests und Gesprächen ermittelt, ob eine Demenz vorliegt und wie stark ausgeprägt sie ist, denn dann benötigt der oder die Erkrankte eine besondere Betreuung.

Solche Tests oder eine Zusatzausbildung und Schulung der Mitarbeiter im Umgang mit verwirrten Patienten ist an den meisten Allgemeinkrankenhäusern eine Seltenheit. "Viele Kliniken sind auf den steigenden Anteil der Menschen mit der Nebendiagnose Demenz nicht vorbereitet", bedauert Sabine Jansen, Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft. Dabei sei es sehr wichtig, dass Demenzkranke besonders behandelt werden.

Unsichere und verängstigte Patienten

Die ungewohnte Umgebung und eventuelle Nachwirkungen einer Narkose verstärkten oft die Gedächtnisprobleme und die Desorientierung zusätzlich, erläutert Jansen: "Die Patienten sind unsicher und verängstigt, verstehen nicht, was man von ihnen will und können sich nicht mitteilen." Es habe schon Todesfälle gegeben, weil Demenzkranke, die sich verlaufen hatten, nicht rechtzeitig aufgefunden wurden.

Studien zufolge leiden rund 15 Prozent der Patienten mit Akuterkrankungen in den Krankenhäusern auch an Demenz. "Vermutlich liegt die Zahl aber wesentlich höher", sagt Klaus Wingenfeld, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Pflegewissenschaften der Universität Bielefeld. Oft werde die Demenz nicht erkannt, weil bei Aufnahmegesprächen nicht gezielt nach ihr gefragt wird. Ärzte und Pfleger seien dann nicht darüber informiert, dass ein Patient verwirrt ist. Und das, obwohl die Demenz-Erkrankung auch bei der Vergabe von Medikamenten berücksichtigt werden müsse.

Das Institut für Pflegewissenschaften hat das Projekt "Blickwechsel Demenz - Nebendiagnose Demenz" wissenschaftlich begleitet, an dem vier Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen und die "Gesellschaft für soziale Projekte" beteiligt waren. "Immer mehr Krankenhäuser versuchen, auf das Problem der Nebendiagnose Demenz einzugehen", sagt Projektleiterin Susanne Angerhausen. Es seien aber noch viel zu wenig.

"Sand im Getriebe der Gesundheitsfabriken"

Im heutigen Krankenhausalltag würden verwirrte Patienten vor allem als "Sand im Getriebe der Gesundheitsfabriken" wahrgenommen, meint Professor Udo Schneider, Chefarzt in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Lübbecker Krankenhaus, der das Modellprojekt begleitet. Wenn körperliche Erkrankungen behandelt werden müssten, werde eine Demenz nur als störend empfunden. Durch das Abrechnungssystem der Fallkostenpauschale würden Arbeitsabläufe rationalisiert und für Mitarbeiter bleibe kaum Zeit, auf Demenzkranke einzugehen.

Mit dem Projekt will das Lübbecker Krankenhaus dieser Tendenz entgegen wirken. "Früher haben wir verwirrte Patienten einfach fixiert oder ihnen Beruhigungsmittel verabreicht, wenn sie durch die Flure gelaufen sind", erzählt Anita Bohn. Heute werde mit den älteren Menschen "Kontakt aufgenommen" und eine Beziehung aufgebaut, um ihnen die Zeit im Krankenhaus zu erleichtern.

epd