TV-Tipp des Tages: "Supervulkan" (ProSieben)
Der Vulkanspezialist Rick Lieberman ist ein gebranntes Kind, seit er einst etwas voreilig vor einer Katastrophe gewarnt hat. Daher spielt er seismische Bewegungen erst mal herab – so lange, bis es zu spät ist.
21.05.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Supervulkan", 22. Mai, 20.15 Uhr auf ProSieben

Vor einigen Jahren war "Supervulkan" das prominenteste Beispiel einer neuen Generation des Dokumentarfilms: Anders als Doku-Dramen, die mit ihrer Kombination aus zeitgenössischem Filmmaterial und Interviews mit Zeitzeugen neben den szenischen Rekonstruktionen immerhin noch einen bedeutenden dokumentarischen Anteil haben, ist "Supervulkan" eine lupenreine Fiktion; wenngleich auf der Basis von Tatsachen. "Dies ist eine wahre Geschichte", heißt es daher im Vorspann; "sie ist nur noch nicht passiert.

Studie zu globalen Folgen

Grundlage des britischen Films, der für die BBC, ProSieben und den amerikanischen Discovery-Channel entstand, sind ausführliche Recherchen. Für eine eigens in Auftrag gegebene Studie untersuchten Wissenschaftler die globalen Folgen, die ein Ausbruch des Vulkans unter dem amerikanischen Yellowstone-Park hätte. Angeblich war die US-Behörde für Katastrophenschutz von den Ergebnissen derart beeindruckt, dass sie sich zum ersten Mal überhaupt mit diesem Thema beschäftigte.

Michael Riley spielt den Vilkanspezialisten Rick Lieberman

All das aber sind Nebenschauplätze; entscheidend ist, was sich auf dem Bildschirm abspielt – und das ist ein echter Kracher. "Supervulkan" zeigt Bilder, die selbst die Spezialeffekte des thematisch ähnlichen Kinofilms "Volcano" in den Schatten stellen. Doch eine mit wissenschaftlichen Daten unterfütterte Naturkatastrophe allein macht noch keinen Quotenknüller. Dafür braucht eine Geschichte Emotionen; die wiederum weckt man in der Regel nur über Figuren. Und deshalb sieht "Supervulkan" wie ein Spielfilm aus: Im Zentrum der Handlung steht der Geologe und Vulkanspezialist Rick Lieberman (Michael Riley). Getreu einer keineswegs unüblichen Spielfilmdramaturgie ist der Wissenschaftler ein gebranntes Kind, seit er einst etwas voreilig vor einer Katastrophe gewarnt hat. Daher spielt er seismische Bewegungen und kleinere Eruptionen erst mal herab – so lange, bis es zu spät ist: Spektakulär bricht der gigantische Vulkan nicht nur an einer, sondern an mindestens fünf Stellen gleichzeitig aus. Die kaum vorstellbare Menge von 3.000 Kubikkilometer Asche legt noch am anderen Ende der Vereinigten Staaten den Straßenverkehr lahm, von den Folgen für die Land- und Tierwirtschaft sowie das globale Klima ganz zu schweigen. "Der ganze Staat geht das Klo runter", wie es einmal drastisch heißt.

Noch nie war das Ende der Welt derart spektakulär

Natürlich lebt der filmische Tatsachenroman von der vermeintlichen Authentizität: Ein Ausbruch und die Konsequenzen könnten sich genau so abspielen; schließlich existieren sowohl der Vulkan wie auch die riesige unterirdische Magma-Kammer tatsächlich. Seinen Nervenkitzel verdankt der Film jedoch der optischen Machart: Wie immer, wenn Spielszenen dokumentarisch wirken sollen, arbeitet Regisseur Tony Mitchell mutwillig mit Unschärfen, gerissenen Schwenks und "Bildstörungen". TV-Berichte ("Breaking News") erhöhen den vermeintlichen Realismus. Anderswo hat man derlei auch schon mal als aufdringlich empfunden, doch Mitchell gelingt die Gratwanderung: Noch nie war das Ende der Welt derart spektakulär.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).