Große Koalition in NRW: Endlich eine Zankstelle weniger
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, harte Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - erleichtert ist er diesmal über die sich abzeichnene große Koalition in NRW, verärgert über die Bildungsunlust reisender Deutscher und amüsiert über die Beschäftigung der Bundesbürger mit maladen Fußballerbeinen. Jede Woche beantwortet Ernst Elitz drei Fragen für evangelisch.de.
21.05.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Thailand im Ausnahmezustand, das Militär knüppelt den Widerstand der "Rothemden" nieder. Wie sehr schadet sich das Land damit selbst, zumal nun auch viele Urlauber aus dem Westen ausbleiben dürften?

Ernst Elitz: Wenn Menschen gegen eine bedrückende Situation aufbegehren, wird die politische Vernunft häufig ausgeblendet. Der Kampf der Rothemden beeindruckte uns zuerst durch sein friedliches Antlitz. Wir ahnten, dass im Hintergrund knallharte machtpolitische und ökonomische Interessen standen. Aber sowohl für die verzweifelten Menschen auf den Straße wie für die Hintermänner ist diese Bewegung aus dem Ruder gelaufen. Sie haben erst einmal verloren. Für die Außenwelt, auch für die Touristen, wird dieser Aufstand schnell wieder vergessen sein. Im Innern wird sich der Frust bei anderer Gelegenheit mit höherer Militanz entladen. Aber soweit denkt die Tourismusindustrie nicht. Ihr Kunde will den Anschein von Sicherheit, Exotik und Sonnenbaden. Da sind soziale Auseinandersetzungen eine hässliche kleine Wolke, die das Urlaubserlebnis nur kurzfristig trüben. Es ist erschreckend, wie wenig die Reiselust der Deutschen mit einem politischen oder auch nur menschlichem Interesse für die bereisten Länder einhergeht. Wir amüsieren uns über die Gruppen japanischer Touristen, die einem Fähnchen folgend den Kölner Dom oder Alt-Heidelberg bestaunen und werden nicht gewahr, dass uns diese Kulturreisenden mit ihrem Besichtigungseifer ein Vorbild sein könnten. Wenn Reisen sich wieder mit Bildung paart, kann der Tourist zum Weltbürger werden. Dass wäre für die Welt kein schlechtes Ergebnis.

evangelisch.de: In NRW läuft nach der Absage an ein Linksbündnis nun alles auf eine große Koalition hinaus – was können CDU und SPD im größten Bundesland gemeinsam bewirken, außer die Politikverdrossenheit nicht noch weiter zu steigern?

Ernst Elitz: Die politischen Verhältnisse in Berlin fördern die Politikverdrossenheit weit mehr als der Schlamassel in Nordrhein-Westfalen. So wie die Union sich derzeit zerlegt und die FDP nicht einmal die Kraft aufbringt, ihre Wunden zu lecken, sehnt sich manch einer wieder zurück in die Große Koalition – vielleicht sogar die Kanzlerin, die mit dem Duo Steinbrück & Steinmeier besser zurecht kam als mit Guido Westerwelle. Es ist nicht nur die Sorge um den Euro, die die Koalitionsparteien bei der Sonntagsfrage abstürzen lässt, es ist auch der Eindruck, dass die Kanzlerin nicht weiss, wo es lang gehen soll, bei der Kopfpauschale, den KKW-Laufzeiten, beim Sparen. Ich glaube, eine große Koalition in NRW wird weitgehend erleichtert registriert. Nach dem Motto: Endlich eine Zankstelle weniger.

evangelisch.de: Michael Ballack ist verletzt und fehlt der Fußball-Nationalelf in Südafrika. Das ist schlimm, aber wodurch rechtfertigt sich der Medienhype um den Vorgang samt ARD-"Brennpunkt"?

Ernst Elitz: Der Mensch will sich nicht 24 Stunden täglich mit der Krise des Euro beschäftigen. Da tauscht er gern mal Ballacks Bein gegen die betrübte Miene der Kanzlerin. Und der Tageschau-Redakteur ist beglückt, mal einen anderen Aufreger präsentieren zu können als ein paar vorbeifahrende Autos am Kanzleramt. Wer hat sich je träumen lassen, dass die Sorge um ein Männerbein die Deutschen eint? Oh, hätten wir doch immer nur solche Sorgen. Wir wären ein glückliches Land.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.