Es ist kurz nach 14 Uhr. Einige hundert Motorradfahrer der Rothemden rasen über die Kreuzung Ratchadaphisek und Sukhumvit. Sie bremsen, schleudern Autoreifen auf die Straße, zünden sie unter Gejohle an. Einige werfen explosives Material in den brennenden Reifenhaufen, vielleicht Feuerwehrksköper, vielleicht Munition. Es knallt auf jeden Fall furchtbar. Schaulustige gehen hinter der schwarzen Marmormauer des True-Buildings in Deckung.
Busse wie aus dem Nichts
Wie aus dem Nichts tauchen zwei blau-weisse Busse auf, werden quergestellt, blockieren zusätzlich die Kreuzung im Stadtteil Asok. Die Polizei schaut hilflos zu, die Schaulustigen schießen Fotos mit ihren Handykameras. Aber lustig findet das niemand. Die Angst, das Entsetzen, die Furcht steht Polizisten, Touristen und Thais gleichermaßen ins Gesicht geschrieben.
Überall in Bangkok wird geschossen, brennen Barrikaden. In der Ferne sieht man dicke schwarze Rauchwolken in KlongToei aufsteigen. Dicker, schwarzer Rauch steht auch über Din Daeng. Militär und Polizei hatten in den frühen Morgenstunden damit begonnen, das von den Rothemden seit fast zwei Monaten besetzte Viertel in Bangkoks Innenstadt zu räumen. Mit Gewalt. Die Soldaten schießen wahllos auf die Demonstranten, wie Augenzeugen berichten. Am frühen Nachmittag stellen sich die Anführer der Rothemden der Polizei und erklären den Protest für beendet.
"Wir lassen uns nicht unterkriegen"
Davon aber wollen viele der Rothemden nichts wissen. Blutüberströmt sitzt ein junger Mann in der Soi 11, einer Gasse der Sukhumvit. Aber er ist entschlossen, weiterzukämpfen. "Wir lassen uns nicht unterkriegen. Abhisit ist der schlimmste Tyrann." Die Propaganda der Rothemdenführung zeigt Wirkung. Wochenlang haben sie von der Bühn im besetzten Ratchaprasong, Bangkoks wichtigstem Geschäftsviertel. Durchhalteparolen eingehämmert und Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva als grausamen Diktator geschildert.
Also kämpfen frustrierte, enttäuschte, wütende Rothemdenbanden in Bangkok weiter. Sie blockieren Kreuzungen, errichten brennende Barrikaden, attackieren mit Molotowcocktails und Granaten Banken, Geschäfte und Shopping Malls. Im Central World, Bangkoks größter Shopping Mall soll es ebenso brennen wie der Platinum Shopping Mall. Die Regierung hofft, mit einer Ausgangssperre die Gewalt einzudämmen. Ab 20 Uhr Bangkoker Ortszeit (15 Uhr MESZ) darf niemand das Haus oder das Hotel verlassen - bis um sechs Uhr morgens am Donnerstag.
Proteste weiten sich aus
Niemand in Bangkok glaubt, dass die thailändische Hauptstadt schnell wieder zur Ruhe kommt. Christopher Luke steht auf der Sukhumvit und schaut fassungslos auf die Soldaten mit Gewehr im Anschlag, die jedes Auto, jeden Mopedfahrer anhalten und durchsuchen. An der Hochbahnstation Nana haben Polizei und Militär Stacheldrahtblockaden errichtet. Luke erzählt: "Von meinem Apartment aus sehe ich nur noch dicke schwarze Rauchwolken über der Stadt." Der englische Geschäftsmann ist überzeugt, dass es in Thailand jetzt erst richtig losgeht. "Ich habe schon einige politische Unruhen hier in Thailand erlebt. Aber keine war so wie diese. Ich glaube, der Dampfkessel ist jetzt explodiert. Es wird jetzt Attacken kleiner Gruppen geben und die werden sich nicht mehr nur auf Bangkok beschränken."
Tatsächlich ist es am Mittwoch bereits zu Demonstrationen und Ausbrüchen von Gewalt der Rothemden in ihren Hochburgen im Nordosten des Landes, im Isaan, gekommen. Regierungsbehörden wurden besetzt und in der Stadt Udon Thani ging das Rathaus in Flammen auf. Auch die Rothemden in Bangkok sind aus dem Isaan, wo die Menschen arm sind und keine der thailändischen Regierungen in der Vergangenheit viel in die Entwicklung investiert hat. Die Menschen im Isaan sind Bauern, die von dem leben müssen, was das oft karge Land hergibt. Die jungen Leute suchen ihr Glück in den Städten und Urlaubsorten, wo sie als Arbeiter, Taxifahrer, Go-Go-Girls und Go-Go-Boys, Masseure und Kellner verdingen, um mit dem Geld ihre Eltern, Geschwister, Kinder im Isaan zu unterstützen.
Wie alles anfing
Die Karten wurden neu gemischt, als der Multimilliardär Thaksin Shinawatra auf den Plan trat. Mit viele Geschick und viel Geld baute sich der Unternehmer im Norden und Nordisten seine Machtbasis auf, wurde von den Bauern und Arbeitern zweimal zum Ministerpräsidenten Thailands gewählt. Ob Thaksin die Armen wirklich liebte oder auch nur für seine Zwecke ausnutzte, spielt keine Rolle. Was für die Menschen im Isaan, für die Rothemden zählt, ist, dass sie erstmals mit ihren Sorgen und Nöten ernst genommen wurden, das jemand für sie Politik machte, dass ihre Stimme plötzlich in Bangkok gehört wurde. Das alte thailändische Establishment stürzte Thaksin – der so korrupt war wie viele andere Politiker aller Couleur in Thailand – im September 2006 durch eine Militärputsch.
Seitdem kommt Thailand nicht mehr zu Ruhe. Die ersten Wahlen nach dem Putsch brachte die Thaksin-Partei wieder an die macht, auch wenn der Politiker selbst nach einer Verurteilung wegen Korruption ins Ausland geflohen war. Der Protest der Bewegung des Establishments, den Gelbhemden, der in der Besetzung des Flughafens von Bangkok im November 2008 gipfelte, führte zum Sturz der gewählten Regierung mit einem Schwager Thaksins als Ministerpräsidenten. An die Macht kam mit Hilfe des Militärs eine Koalitionsregierung, mit Ministerpräsident Abhisit an der Spitze.
Bier und Chips für eine lange Nacht
Das Establishment hat mit der Niederschlagung des Rothemdenprotests eine Schlacht gewonnen, nicht aber den Krieg um die Macht in Thailand. Die Gesellschaft ist in politisch tief gespalten. Nur knapp die Hälfte die Thais heißt Abhisits harten Kurs gegen die Rothemden gut, wie eine erst am Anfang dieser Woche veröffentlichte Umfrage zeigte. Die von Abhisit beschworene "nationale Versöhnung" wird nach den Wochen der Gewalt in Bangkok noch schwieriger. Spätestens seit dem Militäreinsatz vom Mittwoch haben sich die Fronten weiter verhärtet.
Jetzt aber bereitet sich Bangkok erst einmal auf den Ausnahmezustand vor. Gegen 19 Uhr sind die Straßen schon so gut wie leergefegt. Geschäfte und Restaurants haben geschlossen. Verschwunden sind die vielen Garküchen. Selbst die allgegenwärtigen "7/11"-Kioske, die immer auf sind, haben schon am Nachmittag ihre Pforten geschlossen und die Schaufenster mit Zeitungspapier verklebt. Auf haben eine Stunde vor Beginn der Ausgangssperre in der Gegend rings um mein Hotel in der Sukhumvit nur noch ein paar Tante-Emma-Läden, die mit dem Verkauf von Bier und Chips für eine lange Nacht in den eigenen vier Wänden ihr Geschäft des Jahres machen. Immerhin trifft es ausnahmsweise mal die richtigen.
Michael Lenz arbeitet als freier Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.