Fangen wir gleich mal ganz christlich mit einem Wunder an: Die Runde der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten war schon am Nachmittag fertig. Damit hatte irgendwie niemand gerechnet nach den Erfahrungen der letzten Monate.
Die Beschlüsse sind weitreichend und nicht unumstritten. Vor allem die 3G-Regel: Geimpft, getestet, genesen musst du sein, willst du zum Italiener rein. Im Theater und im Griechen: Nirgends trifft man noch auf Siechen. Ähm. Tschuldigung.
Also, jedenfalls: Ohne wenigstens ein G ist in Zukunft alles doof. Außer – ja, offenbar außer der Kirche. Dabei haben wir schon unsere eigenen drei G. Sandra Bils hat sie uns 2019 bei ihrer herausragenden Kirchentagspredigt beschert: Gottes Geliebte Gurkentruppe.
Beim Handy sind wir ja mittlerweile bei 5G angelangt (wofür stehen die eigentlich?), was aber manche auch irgendwie ablehnen, genauso wie 3G in der Pandemie nicht auf einhellige Zustimmung stoßen dürfte – ob es eventuell sogar eine recht große Überschneidung der beiden Protestgruppen geben könnte? Diese sind wiederum nicht zu verwechseln mit den Protestanten, also der evangelischen Kirche, die gemeinsam mit der katholischen Kirche sehr deutlich für Hygienemaßnahmen und auch fürs Impfen eintritt (und gelegentlich sogar einen Funkmast im Kirchturm oder auf einem kirchlichen Grundstück hat, aber das ist eine andere Geschichte).
Also nun, was wollten wir eigentlich? Ach ja: Gottesdienst. Noch ein G. Und für den scheinen nun staatlicherseits wohl unsere Gurken-Gs auszureichen, zusammen mit „getauft“ (was allerdings keine Zugangsvoraussetzung ist) und „Gottesdienst“ sind wir dann schon bei 5G wie beim Handy, das aber wiederum im Gottesdienst meist nicht so gern gesehen wird. Es ist kompliziert.
Nun. Ich muss gestehen: Ich bin bei der Ausnahme für Gottesdienste sehr hin- und hergerissen, egal, wie viele Buchstaben das nun sind. Zum einen gibt es die Religionsfreiheit. Ein hohes Gut, wie wir in manchen anderen Ländern sehen, in denen sie nicht gegeben ist. Auch Menschen, die es – selbst aus völlig irrationalen Gründen – ablehnen sollten, sich testen zu lassen, haben ein Recht auf Ausübung ihrer Religion, und das ist auch gut so. Andererseits haben aber auch alle Teilnehmenden im Gottesdienst ein Recht darauf, vor einer Infektion geschützt zu sein, so gut es geht. Ein nicht so einfacher Konflikt, den ich nicht so locker abtun möchte, weder in der einen Richtung als „schon wieder Sonderrechte für die Kirchen!“ noch in der anderen als „jede und jeder muss in den Gottesdienst kommen können!“
Dazu kommt die Erfahrung der letzten eineinhalb Jahre, die zeigte: die großen Kirchen und auch die Freikirchen sind zum allergrößten Teil ausgesprochen verantwortungsvoll mit der Hygiene-Situation umgegangen. Ehrlich gesagt, fühle ich mich manchmal auch ein bisschen ungerecht behandelt, wenn ich von vollen Fußballstadien höre, in denen kaum jemand Maske trägt, während wir penibel auf Abstände in der Kirche achten, während des ganzen Gottesdienstes Maske tragen (jedenfalls in Bayern) und manchmal Gottesdienste nur deshalb ausfallen lassen, weil niemand aus dem vom Kirchenvorstand offiziell bestellten Sicherheitsteam Zeit hat zu kommen. 3G? Ehrlich gesagt, bei so ausführlichen Sicherheitskonzepten ist es schon eine Kunst, sich in der Kirche anzustecken. Ich persönlich weiß von keiner Ansteckungswelle, die von einem Gottesdienst einer Gemeinde ausging, die in einem der größeren Kirchen und Verbände organisiert ist. Sei es katholisch, evangelisch oder freikirchlich. Andererseits: Das gilt für viele andere Veranstalter mit ausgeklügelten Hygienekonzepten auch, die sich aber nicht auf die Religionsfreiheit berufen können.
Von daher: Ja, es ist schon nachvollziehbar, unsere Gottesdienste auszunehmen von dieser Regelung. Aus Respekt vor der Religionsfreiheit. Vermutlich wäre alles andere auch gerichtlich anfechtbar und würde auch angefochten werden. Ich persönlich finde es nicht gut, aber mich fragt ja keiner.
Irritierend und wenig hilfreich fand ich allerdings die Begründung, die Ministerpräsident Armin Laschet für diese Ausnahme darüber hinaus nannte: Seiner Meinung nach seien in den Kirchen sowieso schon praktisch alle doppelt geimpft, also könne man die Gemeindeglieder auch zusammenkommen lassen. Ein Gottesdienst sei nun mal kein Discobesuch. Hm. Ein seltsames, aber doch irgendwie weit verbreitetes Gemeindebild: Die durchgeimpften Alten kommen mit ihren Gehstöcken oder Rollatoren in die Kirche gewackelt, lauschen andächtig der halbstündigen Predigt des pensionierten Pfarrers, singen zaghaft mit zittriger Stimme uralte Choräle zur leicht verstimmten Orgel und tapsen neu erleuchtet und hunderprozentig hygienisch wieder heim, ohne jeglichen Sozialkontakt erlebt zu haben.
Dabei kann Kirche so anders sein! Kraftvoll. Jugendlich. Geistvoll. Überraschend. Voller Kinder im Familiengottesdienst oder Schulgottesdienst. Voller Jugendlicher im Jugendgottesdienst. Voller Menschen jeden Alters in so vielen Formen von Gottesdienst, von klassischen Kantatengottesdiensten mit Chor bis zu modernen Formen, die von den Senior*innen möglicherweise nicht mal mehr als „Gottesdienst“ erkannt werden würden. Mal ganz abgesehen von den verschiedensten Gruppen und Kreisen, in denen es schließlich auch um den Glauben geht – mal expliziter, mal nicht ganz so offensichtlich. Und Aktionen auf der Straße, in der Stadt, im Dorf. So vieles macht unser gemeindliches Leben aus.
Aber beschränken wir uns für heute auf die Gottesdienste. Nicht alle, die diese Gottesdienste besuchen, sind geimpft, die Kinder vor allem. Und nicht alle diese Gottesdienstformen sind derzeit möglich. Aber sie alle sind Kirche. Natürlich können wir jederzeit von uns aus einen Nachweis verlangen, auch wenn der Staat es nicht vorschreibt. Aber Sie können sich ungefähr vorstellen, was das für Diskussionen am Einlass gibt.
Eine einfache Lösung für das Problem gibt es nicht. Gottes geliebte Gurkentruppe ist ein wenig ratlos. Denn alle sollen kommen können. Doch was, wenn einige durch ihr Verhalten die anderen gefährden und keine Einsicht zeigen? Die Taufe schützt halt nicht vor Infektionen, wie es eine Mutter viele Jahre vor Corona mir gegenüber mal im Taufgespräch meinte. Sie ist ein Zeichen dafür, dass Gott treu zu mir hält – ganz egal, was ich tue, wie ich mich zu Gott verhalte und ob ich krank oder gesund bin.
Bleiben Sie gesund. Und wenn Sie es für sich vertreten können: Lassen Sie sich impfen. Es hilft uns allen. Danke.