Gottesdienst ohne Gesang gab es in vielen Kirchengemeinden schon lange vor dem jetzigen Lockdown. Es ist ein seltsames Erlebnis: Die Orgel spielt oder auch eine Bläsergruppe – und alle hören zu.
An diesem so umstrittenen Heiligen Abend hatte ich einen Gottesdienst in einer vakanten Gemeinde zugesagt und hatte die Zusage auch nicht wieder zurücknehmen wollen. Ein Gottesdienst im Freien vor der Kirche, mit Masken, auf Abstand, ohne Gesang. Das schien ein trauriger Heiligabendgottesdienst zu werden.
Doch alles andere als das: In sehr kleinen Familiengruppen standen die Menschen andächtig da. Alle hielten eine Kerze mit dem Friedenslicht aus Betlehem in der Hand – gleichzeitig eine sehr praktische Art der Zugangskontrolle, denn die Kerzen waren genau abgezählt und die Zahl an die Größe des Platzes angepasst.
Wie würde das werden mit den Liedern? Ich las die Texte der Lieder vor – eine sehr kleine Gruppe aus Bläsern (mehr war nicht erlaubt) spielte anschließend die Melodie. Und trotz dieser Einschränkungen: Es war wunderschön. Bewegend. Ruhevoll, ja majestätisch. Es war einmal etwas ganz Neues. Es war endlich mal Zeit, der Melodie von „Stille Nacht“ nachzuspüren, ohne selbst mit Singen beschäftigt zu sein. Es war ein Zur-Ruhe-Kommen, wie ich es sonst nicht gewohnt war.
Oft heißt es ja, der Gemeindegesang sei ganz konstitutiv gerade für evangelische Gottesdienste. Und ja, es ist ja auch ein Zeichen, dass nicht „der Pfarrer“ den Gottesdienst „hält“, sondern die ganze Gemeinde gemeinsam und aktiv feiert. Aber gerade jüngere Menschen finden das manchmal eher seltsam und mögen das oft gar nicht so sehr. Ihnen kommt vielleicht diese „neue“ Form des Zuhörens sogar viel näher. Es gibt mehr Aufmerksamkeit sowohl für den Text als auch für die Melodie.
Und noch etwas macht diese Lösung für mich sehr reizvoll: Texte sind viel schneller gelesen als gesungen. Das macht es möglich, auch einen längeren Liedtext einmal vollständig zu Gehör zu bringen. Im Gottesdienst zum Altjahresabend werde ich alle 15 Strophen des Paul-Gerhardt-Liedes „Nun lasst uns gehn und treten“ lesen. Das dauert, ich hab’s gemessen, gerade mal zwei Minuten. Ich freue mich darauf, den Text anschließend beim Anhören der Melodie noch ein wenig in mir nachklingen zu lassen.
Wo und wie auch immer Sie gerade Gottesdienst feiern – online, vor Ort, zu Hause oder auch gar nicht – ich wünsche Ihnen eine gesegnete Feier. Tipp fürs neue Jahr: Lesen sie doch mal wieder ein Paul-Gerhardt-Lied.