Gestern war Erntedank. Ich mag den Tag. Brot, Weizen, Obst und Gemüse liegen festlich vor dem Altar, vor Gott. Die Ernte ist ordentlich in diesem Jahr, trotz des Hochwassers. Manche finden, die Lese hätte besser sein können. Wäre da nicht der Klimawandel, der sich partout nicht danach richtet, was wir wollen: mehr Umsatz …
Doch was ist mit anderen Dingen, die wir gesät haben? Und die wir ernten.
7. Oktober 2023. Heute vor einem Jahr. Hamas-Terroristen verüben ein bestialisches Massaker gegen Israel mit unfassbaren Folgen. Sie verursachen unermessliches Leid unendlich vieler Unschuldiger in Israel, und Israel tut das Seine, in Gaza und im Libanon, und Teheran reagiert, es nimmt kein Ende. Es gibt keinen Frieden im Nahen Osten. Bloß Feindschaft. Die spaltet auch unser Land.
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
29. August 2023. In Benediktbeuern fegt ein Hagelsturm über den Ort sowie das Kloster und zerbirst Dächer, Fassaden, selbst das Innere der Basilika. Keine zehn Minuten und fast alles ist zerstört. Die Schäden sind immer noch da, überall. Ich habe sie selbst gesehen, die Folgen der globalen Erderwärmung.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
September 2024. Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Die AfD jubiliert. Unerträglich ihre Angriffe auf die Verfassung (Thüringen) und ihr Hass auf alles Nicht-Deutsche (überall). Unerträglich auch die Union, die das Grundrecht auf Asyl opfern will, statt das C in ihrem Namen zu verteidigen. Ein Recht, von dem die Deutschen selbst profitiert hatten, damals, in der Nazi-Zeit, und das deshalb ins Grundgesetz aufgenommen worden war. Wie schnell alles in Gefahr gerät. Die Menschenwürde. Die Demokratie. Die Toleranz. Der Respekt. Die Rücksicht. Unsere Haltung.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Gestern war Erntedank. Aber wofür sollen wir danken? Wir säen Hass und ernten Krieg. Wir säen CO2 und ernten Klimawandel. Wir säen Zwietracht und ernten Rechtsextremismus.
Und dann kommt Gott und lässt Rainer Maria Rilke am Ende seines Herbstgedichtes schreiben:
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Vielleicht ist das der Sinn von Erntedank in diesem Jahr: Gott zu danken. Weil er uns hält, in allem und trotz allem. Im Krieg und in den Stürmen. Im Hass und in dunklen Zeiten.
Ich wünsche mir, dass wir neben dem Dank noch etwas anderes vor den Altar legen, es betrifft uns: Demut und Respekt, Toleranz und Menschlichkeit, Haltung und Mut. Als Erinnerung und Mahnung. Damit wir nicht vergessen, worauf es ankommt. Nicht nur am Tag von Erntedank. Sondern immer.