Als Schriftstellerin stellt man sich manchmal seltsame Fragen. Zum Beispiel die, ob meine literarischen Figuren auch in den Himmel kommen, also ob all jene Geschöpfe, die ich erdacht habe und in die ich ein Stück meiner Seele gelegt hab, denen ich also durch die Buchstaben Leben "eingedichtet" habe, in irgendeiner Weise Anteil an der HaOlam haba- der kommenden Welt haben. Die Frage mag dem einen ketzerisch anmuten und dem anderen albern, aber in Anbetracht dessen, dass die Figuren beim Schreiben oft ein Eigenleben entwickeln und nicht selten mein ursprüngliches Erzählkonzept umwerfen, lässt die Frage, nach dem Woher und dem Wohin meiner Protagonisten, immer wieder aufflammen. Zwar habe ich all diese Persönlichkeiten erdacht und mit Buchstaben ausgeschmückt, um diese Welt HIER zu verbessern, zu erzählen und zu verschönern, - aber dennoch hänge ich an ihnen und möchte, dass auch sie dereinst "zu seinem Volk eingesammelt" werden...
"Dem Papiergeschöpf hab ich all das zugutekommen lassen, was ich selbst entbehrte", sagte Adolf Muschg und macht damit deutlich, wie wichtig die selbst geschaffenen Figuren für Autoren sind. Und die Welten, die man mit Büchern erschafft, sind nicht nur (Sehnsuchts-)Orte der eigenen Phantasie, sondern oftmals auch Rettung für andere verlorene Seelen: die Leser nämlich.
Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt - und wenn nun also ein Buch möglicherweise einen Menschen aus den dunkelsten Tiefen hinausführt... - wer hat dann dieses Leben gerettet? Der Autor? Oder doch viel eher sein Buchgeschöpf, das seinem Leser Halt und Hoffnung spenden konnte? Und (zu) wem gehört dieses Geschöpf?
Die Welt wurde geschaffen aus dem Wort.
Und für das Wort.
Das Wort wurde geschaffen aus der Welt.
Und für die Welt.
Andererseits sterben ja nur wenige meiner literarischen Figuren direkt im Buch. Und was sie so anstellen, wenn ich meinen Roman beende und sie dann ihr Leben ohne mich weiter führen, weiß ich natürlich auch nicht... Es sind sicher tausend Leben in all den Köpfen der Leser, die sich die Geschichte weiter ausmalen...
Und ob Gott meine Literatur mag, steht auch in den Sternen...
- andererseits hat er mir ja das Talent zu schreiben gegeben... - und die Sterne leuchten jede Nacht!
Außerdem werden bei uns Juden zumindest die heiligen Bücher, wenn sie völlig am Zerfallen sind, beerdigt wie Menschen...
- bedeutet das nicht vielleicht?
Die Welt wurde geschaffen aus dem Wort.
Und für das Wort.
Das Wort wurde geschaffen aus der Welt.
Und für die Welt.
Je länger ich darüber nachgrüble, desto mehr merke ich, dass ich auch die literarischen Wegbegleiter aus anderen Büchern, gerne wieder sehen würde in der anderen, der kommenden Welt. Vielleicht ist Heinrich Bölls trauriger Clown bis dahin ja eine glückliche Figur, und Madame Rosa aus "La vie devant soi" von Romain Gary sitzt auf einer Wolke (und muss hoffentlich nie mehr so viele Treppen steigen....), während Tante Jolesch jeden Neuankömmling erstmal kritisch unter die Lupe nimmt...
Kurt Marti spekulierte mal: "Vielleicht hält Gott sich einige Dichter,(...) damit das Reden von ihm jene heillige Unberechenbarkeit bewahre, die den Priestern und Theologen abhanden gekommen ist" - Wenn das so wäre, dann hätten vielleicht nicht nur (meine) literarischen Protagonisten, sondern sogar meine (Lieblings-)Gedichte eine Chance auf Teilhabe an der kommenden Welt...
Man stelle sich vor: im Himmel käme dann und wann ein weißer Elephant...
und Herr von Ribbeck pflanzte Birnbäume im Paradies....
und all die Wolken schrieben ihre eigenen Gedichte in den Himmel...
Ich glaube, das würde mir sehr gefallen...