Das Pfarrhaus, in das ich gerade mit meiner Familie einziehe, steht an einem kleinen grünen Dorfplatz. Auf der einen Seite steht unser evangelisches Pfarrhaus, auf der anderen Seite das katholische. Dazwischen - seitlich - die interessant angelegte katholische Kirche, die die evangelische Gemeinde seit dem Mittelalter mitbenutzen kann. Eine überraschende Anordnung für einen kleinen ostdeutschen ländlichen Ort. In meinem Inneren sehe ich ein Gegenüber von Zweien, die sich so viel Wesentliches teilen. Und ich verliebe mich sofort in dieses Ensemble, denn so ein grüner Platz mit einer 200 Jahre alten Linde, einer Sitzbank, Büschen und Bäumen voller Vögel und einem Boule-Spielplatz „zwischen Zweien“ sieht aus, wie ein Versprechen auf mehr als beste Nachbarschaft.
Es ist mein erster Sonntag im neuen Pfarrhaus. Die Glocken läuten frühmorgens zur Messe. Ich finde, sie meinen mich auch und mache mich auf, nur wenige Schritte weit nach nebenan, in die wunderschöne Kirche. Sie ist hell, liebevoll gepflegt. Mehr Menschen in den Bänken als von mir vermutet. Ich kann mich still in diese sitzende Gemeinschaft einfügen. Orgelklänge. Gebete. Gesänge. Lesungen. Liturgie. Kaum etwas, das mir nicht vertraut ist. Ein nahbarer Pfarrer, der von Herzen predigt. Gebetsworte, dicht an meinem Leben. Ich fühle mich gemeint. Kaum etwas fühlt sich fremd an. Das verblüfft mich noch immer. Jedes Mal. Und irritiert mich. Diese Ähnlichkeit.
Ein älterer Herr wird mir nach dem Gottesdienst die Anekdote erzählen, wie dort ein katholischer Pfarrer mit 60 Jahren aus Zufall zum ersten Mal in den Sonntagsgottesdienst des evangelischen Kollegen ging und sprachlos war davon, wie ähnlich alles dort seinem eigenen war. Seinem evangelischen, gleichaltrigen Kollegen ging es genauso. „Überlegen Sie mal“, sagte der freundliche Herr zu mir, „wie lange die beiden gebraucht haben, um das zu merken: dass sie einander so ähnlich sind.“
So ähnlich. Im Kern einig. Und doch. Und doch nimmt mich dieser kleine Schmerz wieder mit, als der katholische Kollege vorne die Einsetzungsworte spricht. Von hinten sehe ich, wie die gesamte Gemeinde sich im Gang versammelt. Sie wandeln langsam nach vorne zum Brot aus der Hand des Pfarrers. Eine einzige Person sitzt in den Bänken. Ich. Aus Gründen. Mit schwerem Herzen dieses Außenvorsein fühlend. Das „leider-noch“. Es ist jedes Mal ein emotionaler Moment. Das Gefühl des Getrenntseins im Gemeinsamsein. Das irgendwie Verlassensein im eigentlich Aufgehobensein. Und schon gleich singen wir wieder gemeinsam, als ob uns nichts trennen würde und im Anschluss werde ich eingeladen zum Kirchenkaffee und habe großartige Begegnungen.
Und doch. Doch werde ich um unser beider willen nicht aufhören, diesen kleinen Schmerz zu betrauern. Und ihn nicht theologisch-dogmatisch breit zu denken, kirchentheoretisch-historisch zurecht zu denken oder ökumenisch-verständnisvoll freundlich zu denken. Sondern wirklich zu empfinden, dass ich da eine große Sehnsucht habe und dass ich diese „noch nicht-Fehlstelle“ immer und immer empfinde. Sie ist wie ein fehlender grüner Platz zwischen zwei zusammengehörenden Häusern, mit einer alten Linde und einem Platz zum Spielen und einer großen Sitzbank für Viele.