Das Schönste an Pfingsten sind die Bilder. Das Brausen, das vom Himmel kommt, „wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt“. Die Feuerzungen, die sich auf den Köpfen der Jünger:innen niederlassen. Der Heilige Geist, der ihnen beibringt, „in anderen Sprachen zu reden“. Dann das große Tohuwabohu: Die Irritation der Menschen, die das mitbekommen. Die Menschen, welche die Jünger:innen für betrunken halten, weil die plötzlich ihre Sprache sprechen. Und das der Wirkung des süßen Weines zurechnen und nicht Gott.
Schließlich tritt er selbst auf, dieser Gott. Und spricht. Großes Kino, gewaltiges Drama: Eure Söhne und eure Töchter werden prophetisch reden, eure jungen Männer werden Visionen haben und eure Alten werden Träume haben. Ich werde Wunder erscheinen lassen droben am Himmel und Zeichen unten auf der Erde: Blut und Feuer und qualmenden Rauch. Die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und herrliche Tag. (Apg 2,17-20)
Und ich denke an die heutige Zeit. An die Aggression in der Gesellschaft. Die aufgeheizte Stimmung. Die gewollten Missverständnisse, die Gewaltbereitschaft, die Lügen. Beim ESC2024: „Nichtbinär ist reaktionär!“, titelte das Magazin Emma, weil Nemo aus der Schweiz gewonnen hat. Pfiffe und Buhrufe gegen die Sängerin Eden Golan während ihres Auftritts, weil die Leute Israel hassen. Bei der AfD: Die Behauptung, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster sei eine rein politische Entscheidung, weil die Richter angeblich die Wahlen zum EU-Parlament beeinflussen wollten. Dabei war es die AfD, die das Verfahren über den „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ zu verschleppen versuchte, mit ihren rund 470 Beweisanträgen. Beim Wahlkampf: Die Anschläge auf Politiker:innen und Wahlhelfer:innen. Weil, ja, warum eigentlich? Die Schändung von Wolfgang Schäubles Grab. Warum? Aus Daffke? Einfach nur so, aus Spaß?
All diesen Menschen wünsche ich ein Pfingsterlebnis, das sich gewaschen hat. Dass ein heftiger Sturm daher kommt und Gott Zeichen setzt „unten auf der Erde“, Blut und Feuer und qualmender Rauch, dass sich die Sonne in Finsternis verwandelt und der Mond in Blut. Ich wünsche mir, dass Gott den Menschen Augen und Ohren öffnet. Damit sie anfangen hinzuschauen, wenn jemand schwächer ist. Damit sie beginnen zuzuhören und verstehen zu wollen, was andere sagen. Damit sie erkennen, in was für einem großartigen Land wir leben dürfen. Mit einem Grundgesetz, das seit 75 Jahren seinesgleichen sucht. Mit Meinungsfreiheit und einer unabhängigen Justiz. Mit Pressefreiheit und Versammlungsrecht. Mit Gleichberechtigung und einem Diskriminierungsverbot. Mit Glaubensfreiheit, aber vor allem mit der Würde aller Menschen, die unantastbar ist. Selbst bei jenen, die ausrasten.
Vielleicht kommt ihnen dann die Erleuchtung. Und sie sehen die Feuerzungen auf unseren Köpfen, die Licht in das politische Tohuwabohu bringen.
Die Leute müssen ja nicht gleich anfangen, zu glauben. Es reicht schon, wenn sie eine Ahnung davon bekommen, was sie längst in sich tragen. Eine „Vision“, wie es in der Apostelgeschichte heißt. Die Erkenntnis des Wunders Demokratie; eines Wunders, das unter allen Umständen geschützt werden muss, im Interesse aller.
Vielleicht können sie sich dann wieder freuen, statt zu wüten, und neue Hoffnung schöpfen. Das wäre ein wirklich schönes Pfingsterlebnis.