Johannes 20
Thomas, auch Didymus genannt, einer der Zwölf, war nicht dabei gewesen, als Jesus zu den Jüngern gekommen war.
25 Die anderen erzählten ihm: »Wir haben den Herrn gesehen!« Thomas erwiderte: »Erst muss ich seine von den Nägeln durchbohrten Hände sehen; ich muss meinen Finger auf die durchbohrten Stellen und meine Hand in seine durchbohrte Seite legen. Vorher glaube ich es nicht.«
26 Acht Tage später waren die Jünger wieder beisammen; diesmal war auch Thomas dabei. Mit einem Mal kam Jesus, obwohl die Türen verschlossen waren, zu ihnen herein. Er trat in ihre Mitte und grüßte sie mit den Worten: »Friede sei mit euch!«
27 Dann wandte er sich Thomas zu. »Leg deinen Finger auf diese Stelle hier und sieh dir meine Hände an!«, forderte er ihn auf. »Reich deine Hand her und leg sie in meine Seite! Und sei nicht mehr ungläubig, sondern glaube!«
28 Thomas sagte zu ihm: »Mein Herr und mein Gott!«
29 Jesus erwiderte: »Jetzt, wo du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind die, die nicht sehen und trotzdem glauben.«
Thomas lebt im Modus des ausstehenden Reiches.
In dem ist vieles zu haben, aber etwas Wesentliches nicht: Die Selbstverständlichkeit der großen Gegenwart in allem. Von der sprach Jesus, und in ihm kann man den Himmel atmen.
Schon rein phänomenologisch ist offensichtlich: Wonach ich greifen muss, das ist nicht bei bzw in mir.
Der Lehrgang besteht nun darin, wieder und wieder das, was eh da ist, zu ‚begreifen‘, bis es irgendwann so angekommen ist, dass man es nicht mehr begreifen muss. Der Umschlag vom Greifen ins Schauen oder in die Fraglosigkeit der Gegenwart ist wiederum etwas, das sich gibt, wie es will. Hier gehören alle Bemerkungen über das Leerwerden usw. hin.
Genau das kennt aber fast jeder Mensch aus Erfahrung: Dass die Gegenwart fraglos da ist. Dass es dafür eigentlich auch keine Sprache braucht, wenn sie da ist. Keine Benennungen. Nichts außer Dasein ist nötig. Das ist Seligkeit.
Die steht für Thomas aus, indem er greift. Oder er greift, weil er nicht ‚drin‘ ist, und er ist nicht ‚drin‘ weil er greift. Das ist dasselbe. Wer drin ist, greift nicht mehr.
Das ist ein anderer Begriff von Glaube, als er normal verwendet wird. Versteht man ‚gläubig‘ als Annahme von Behauptungen, dann wird alles falsch. Dann wird es moralisch oder manipulativ und verführt zu falschen Sprüngen oder Entscheidungen und schon gar nicht zur Seligkeit.
Insofern lockt Jesus den Thomas. Er läßt ihn greifen. Das heißt, er tadelt dessen Begriffs-Sehnsucht nicht und läßt ihn gewähren. Aber abschließend legt er ihm eine goldene Feder in seinen umzäunten Vorgarten: zur Feder gehört ein goldener Vogel und ein goldenes Land. Es gibt mehr als du ahnst, es gibt etwas viel Schöneres, doch dahin führt kein Be-Greifen, sondern: ... !