Wer sich wandeln will, schaut am besten erstmal genau hin auf das, was ist.
Die späte Heidi schaut hin, weil sie den zunehmenden Ärger leid ist. Sie spricht mit einer klugen Freundin. Sie finden heraus: Heidi möchte ihren Wert erhöhen, indem sie später kommt. Sie denkt nämlich: „Wenn ich zu früh da bin, meinen alle: ‚Na, die hat ja wohl nichts zu tun’“. Kommt sie später, wirkt es ‚beschäftigt’ und irgendwie ‚cool’. Aber warum muss man beschäftigt und cool wirken? „Weil Du Dich in den Runden etwas unterbelichtet fühlst.“ sagt die Freundin ihr auf den Kopf zu. Heidi schluckt: „Stimmt. Ich kann oft nicht so reden wie die anderen und schon gar nicht vor allen.“ Aha. Schon einen Schritt weiter.
Die Freundin rät etwas, das sie selbst gelernt hat. Man kann eine Art Gegenrede gegen die Furcht entwerfen und die genauso rituell verwenden, wie die alte Gewohnheit. Immer wenn’s jetzt losgeht zum Termin, spricht Heidi vor sich hin: "Ich kann schön sein und ich kann super zuhören." Das haben sie gemeinsam ermittelt - und es stimmt. Wenn sie das tut, schmilzt in ihr der Block aus Furcht – jedes Mal ein Stück mehr. Das nennen Christen den Wechsel von der Knechtschaft in die neue Freiheit. Gottes Stimme flüstert die andere und bessere Wahrheit mitten in die in sich drehende Enge. Heidi wiederholt nun seit einem Jahr diese himmlische Einrede, und sie kommt wirklich kaum noch zu spät. Sie tut den Mund in der Runde immer noch nicht auf, aber sie hat jetzt ruhige Fahrten und kaum Ärger wegen der Verspätungen. "Ist keine Schande uncool pünktlich zu sein, denn ich bin schön, und ich kann hören."
Das ist der Einspruch gegen das Diktat der Angst. Das ist das Himmelswort gegen die ätzenden Höllenwörter, die Dich kleinkriegen wollen. Ihre angewöhnte Säumigkeit hat mal geholfen einen inneren Konflikt zu lösen, aber eben nicht zentral, sondern nur scheinbar. Wird die Gewohnheit als Lösung unwirksam, dann kann sie gehen. Aber erstmal nur im Tausch gegen eine neue und bessere. Man verlässt Riten nicht gern ohne Ersatz. Den hat Heidi gefunden: Sie ist nicht allein geblieben mit ihrem Denken, das ist die erste Regel. Und die zweite: sie hat ein lebendiges Widerwort entwickelt gegen die Ursache des Zwangs. Das trägt sie nun wie einen subversiven Frühlings-Zettel anstatt der alten Masche bei sich.