Alles hat seine Zeit. Und jetzt ist Ferienzeit. Sommerferienzeit ohne Corona. Der Inbegriff von Reisen und Sonne, von Bergen und Seen, von fernen Ländern, von Strand und Meer, von Lesen und Spielen. Zeit für Dinge, zu denen man sonst nie kommt, und Dingen, die man sonst nie macht.
Die einen fahren jedes Jahr an denselben Ort. Die anderen besuchen Länder, die sie nicht kennen. Die einen bescheiden sich, weil es anders nicht geht, die anderen prassen, weil sie es können. Zum Beispiel auf einem Kreuzfahrtschiff.
Vor Kreuzfahrtschiffen graut mir. Allein die Vorstellung, in einer der "schwimmenden Städten" eingesperrt zu sein, die jährlich Millionen Passagiere über die Weltmeere befördern, ist für mich ein Albtraum. Eingesperrt in einem Riesen. Das derzeit größte Kreuzfahrtschiff der Welt ist der US-amerikanische Riese "Wonder of the Seas". Da gibt es 32 Restaurants, Cafés und Bars, ein Aquatheater, mehrere Whirlpools, ein Solarium (!), ein Outdoor-Kino und eine Seilbahn, das Ganze verteilt auf 18 Decks. Je nun, an Bord ist ja auch Platz für 7000 Passagiere. Zweimal so viele Menschen wie in dem kleinen Dorf in Oberbayern leben, wo ich am liebsten bin. Ein noch größeres Kreuzfahrtschiff ist übrigens schon in den Startlöchern.
Ganz abgesehen vom nötigen Kleingeld, das mir für solch ein "Wunder" fehlt, wird mir Gott sei Dank schon beim Wort „Schiff“ übel. Aber bitte, jedem das Seine. Sommerferien, das ist Gute-Laune-Zeit, fast auf Teufel komm raus.
Andere, ebenfalls gut Betuchte, stürzen sich gern in große Abenteuer. In richtig große Abenteuer. Mögliche Gefahren kümmern sie nicht. Vielleicht halten sie es mit Hölderlin, der in seiner Patmos-Hymne schrieb: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Und wissen nicht, dass dies ein Glaubenssatz ist. Denn ganze Stelle lautet: Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott. / Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.
Doch was im Glauben stimmen mag, stimmt im Leben noch lange nicht.
Mir fällt der Hölderlin-Vers ein, wenn ich an die fünf Leute denke, die beim Versuch, die Titanic zu erkunden, im Tauchboot Titan ums Leben kamen. Und an die vielen Geflüchteten, die im Mittelmeer ertrunken sind. Fünf Menschen hier – 1.166 Menschen dort, allein in diesem Jahr (Stand 9. Juni). Fünf zahlungskräftige Menschen, die ein Abenteuer suchten – 1.166 verarmte und verfolgte Menschen, die eine neue Bleibe suchten. Fünf Menschen, deren Namen um die ganze Welt gingen – 1.166 Menschen, deren Namen niemand nennt. Fünf Menschen, die tagelang die Schlagzeilen bestimmten – 1.116 Menschen, die allenfalls eine Fußnote Wert sind.
Ich bedauere den Tod der fünf Titan-Insassen zutiefst. Ich rechne auch kein Menschenleben gegen ein anderes auf. Trotzdem bleibt ein Unbehagen. Denn unser Interesse gilt nicht jenen, die in Not sind. Sondern jenen, die sich alles leisten können. Unser Interesse und: unser Mitgefühl.
Darum stimmt der Hölderlin-Satz hier nicht. Richtig müsste er lauten: Wo Gefahr ist im Luxus, wächst das Rettende auch. Wo aber Gefahr ist in der Not, wächst nichts.
Da spielt es keine Rolle, ob man glaubt oder nicht.
Alles hat seine Zeit. Die Sommerferien und das Reisen. Das Glück und die Gefahr. Es liegt an uns, ob auch das Rettende wächst. An uns. Und in Gottes Hand.