Wir proben gerade Haydns Schöpfung. Die beginnt natürlich mit dem Anfang, wie könnte es anders sein: Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war ohne Form und leer, und Finsternis war auf der Fläche der Tiefe, singt Raphael. Der Chor fährt fort: Und der Geist Gottes schwebte auf der Fläche der Wasser, und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. – Wie Haydn das vertont, sagt mehr als die Worte allein es können. Während der Geist Gottes im Piano auf der Fläche der Wasser schwebt und Gott ganz leise spricht, "es werde …", ruft der Chor im Forte, Fortissimo: "Licht!" – Und die Gänsehaut überzieht den ganzen Körper. Der erste Tag entstand. Verwirrung weicht, und Ordnung keimt empor, singt nun Uriel weiter. Erstarrt entflieht der Höllengeister Schar in des Abgrunds Tiefen hinab zur ewigen Nacht. Und der Chor stimmt ein: Verzweiflung, Wut und Schrecken begleiten ihren Sturz, und eine neue Welt entspringt auf Gottes Wort.
Licht, Ordnung und eine neue Welt. Hell, klar und ohne Versteckspiel. So wünsche ich mir auch die Kirche. – Und ihre Gebäude.
Ich gehe gern in Gotteshäuser, wenn ich zur Ruhe kommen will. Gut ist, dass katholische Kirchen immer offen sind, jedenfalls in München. Schlecht ist, dass die meisten dunkel sind, als solle niemand sehen, dass man dort ist. Wenn ich mich verstecken will, bleibe ich zu Hause. Und Nacht ist lang genug. Wenn ich unruhig bin, sehne ich mich nach Licht, nach Ordnung, nach einer neuen Welt, nach Gottes Wort. Ich will doch raus aus der Grübelei und nicht noch tiefer hineingezogen werden. In dunklen Gotteshäusern gelingt mir das nicht. Da fühle ich mich unwohl. Erdrückt. Uneingeladen.
Zum Glück gibt es hier auch helle Kirchen. Alte und neue. Zwei vor allem, sie sind beide neu.
Die eine ist ein Kunstwerk und auch als solches gedacht. Es ist "A Chapel for Luke" im Diözesanmuseum in München-Freising. Die besteht nur aus Licht. Licht, das beständig seine Farben verändert und einem jedes Gefühl von Raum und Zeit nimmt, wenn man hineingeht. Für wahr, eine neue Welt!
Die andere ist ein architektonisches Meisterwerk. Es ist die Herz-Jesu-Kirche in München-Neuhausen, die erst vor 13 Jahren geweiht wurde. Ihr Bau ist einem Brand zu verdanken. Ich schreibe bewusst "zu verdanken", weil die Vorgängerkirche Teile des früheren Kino- und Theatersaals der SS-Wachmannschaften Adolf Hitlers vom Obersalzberg enthielt. 1994 kam das Feuer. Es war, wie es Uriel und der Chor in der Schöpfung besingen: Erstarrt entfloh der Höllengeister Schar in des Abgrunds Tiefen hinab zur ewigen Nacht. – Und eine neue Welt entsprang auf Gottes Wort … Und was für eine!
Ein großer, blauer Kubus steht auf dem Platz. Ganz aus Glas. Doch das Glas ist nicht durchgehend blau, sondern enthält ungezählte Nägel, die man erst entdeckt, wenn man genau hinschaut. Die Nägel bilden Buchstaben, die Buchstaben Sätze. Es ist die Johannespassion (noch so ein Gänsehaut-Werk, das zu singen einen tief ergreift). Die Sensation der Kirche aber ist die Tür. Wobei das Wort "Tür" in keiner Weise passt. Es sind die größten Kirchentore der Welt. Ab und zu werden sie geöffnet.
Dann öffnet sich der Himmel. Und der Blick wird weit. Der Atem stockt. Und Stille kehrt ein. Ehrfurcht, Andacht, Glückseligkeit. Und Gott ist da. Es ist, als würde er die Arme weit öffnen und sagen: "Komm her zu mir!" ... Bis sich die Tore langsam wieder schließen. "Das bringt einen runter", staunte neulich ein Tourist. "Das ist Kirche", sagte ich. – Da lächelt er.
Und eine neue Welt …
PS: Wer in München lebt und sich die Schöpfung anhören möchte, ist herzlich eingeladen, am 9. Juli um 18 Uhr in die Kirche Christkönig in Nymphenburg zu kommen. – Die ist übrigens auch schön und hell und einladend.