Erklär mir Arbeit
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten. Am Tag der Arbeit natürlich das mit der Arbeit.

Erklär mir Arbeit“ singen „Wir sind Helden“. "Arbeit? Mein Freund, das wird Arbeit. Generell: Alles, was Spaß macht: keine Arbeit.“

Der Song ist jetzt über 10 Jahre alt. In die jungen freshen Startups haben sie Tischkicker und Obstkörbe gestellt: Die Arbeit soll Spaß machen. Die Überstunden sollen unmerklich sein. Und nicht bezahlt.

Die Pandemie mit Homeoffice, dem Aussetzen ganzer Arbeitsbereiche, der Definition von dem, was wichtige, eben „systemrelevante“ Arbeit ist - sie hat - anders als ich und andere es erhofft haben - keine Neubewertung von Arbeit gebracht.

Im Gegenteil: die unbezahlte Carearbeit ist noch weiblicher geworden, der doch systemrelevante Pflegesektor noch desolater, der Workload von quasi allen um mich herum noch krasser. Dass vieles von dem, was wir tagaus tagein machen und „Arbeit“ nennen, für Wochen und Monate in 2020f nicht möglich war und die Welt dennoch nicht unterging: alle scheinen es vergessen zu haben.

Auch ich. Ich schreibe diesen Text, während ich in einem Bahnhofsimbiss eine vegane Bowl mit fancy Namen in mich hinein löffele, weil ich keine Zeit für eine Mittagspause hatte und genau weiß, dass ich zuhause zu müde und erschöpft zum Kochen und zum Schreiben sein werde.

Wie ist es nur wieder soweit gekommen? Was in mir hat die Tage so vollgestopft mit Terminen? Was hat nicht Nein gesagt, sondern: Klar, kein Problem. Was ist da offensichtlich so bedürftig nach Nützlich-Sein, nach Fleißig-Wirken-Wollen, nach überall Mitmischen? Ich bin schließlich in der superprivilegierten Position, ein regelmäßiges Gehalt zu bekommen für eine Arbeit, deren Menge und Wirksamkeit  eigentlich niemand kontrolliert. (Ich denke aber natürlich dauernd: Und wenn doch?)

Die Publizistin Teresa Bücker sagt, keine Zeit zu haben, sei in Deutschland geradezu ein Statussymbol. Auch deshalb sei das mit der Erwerbsarbeit so organisiert, wie es organisiert ist. Carearbeit ist nicht mitbedacht. Viele Löhne sind so niedrig, dass Menschen mehrere Jobs brauchen.

Der junge Mann, der mir am Bahnhofsimbiss die fancy vegane Bowl gemacht hat, arbeitet seinerseits sicher seit früh am Morgen für Mindestlohn, was es mir wiederum erlaubt, noch mehr zu arbeiten und keine Zeit und Kraft fürs Kochen zu verschwenden.

Zeit für Freund*innen, für geliebte Menschen, Beziehungen, Bildung, Muße, Spaß ist ein Luxusgut, das sich nur die richtig oft leisten können, die genug verdienen und zugleich nicht die Leistungsmaxime des neoliberalen Spätkapitalismuses internalisiert haben (und um sich nicht nur erschöpfte Menschen haben).

„Erklär mir Arbeit. Generell: alles, was man im Gras macht: keine Arbeit.“ Generell: Am wichtigsten ist Erwerbsarbeit. Und sie wird quasi nicht hinterfragt. Dabei wären 4-Tage-Wochen möglich, Bullshitjobs könnten abgeschafft werden, die durch Maschinen getane Arbeit müsste gar nicht sofort wieder durch neue ersetzt werden. Niemand müsste prekär leben. Niemand sich unentwegt seine Daseinsberechtigung erst erarbeiten. Die Welt würde sich weiterdrehen und wir alle würden mehr im Gras liegen.

Dafür braucht es aber mehr als individuelles Umdenken und ein paar Achtsamkeitsübungen, es braucht den politischen Willen.

Die Bibel berichtet von einer Rechtsordnung, die einen solchen Willen in sich trägt: G*tt, die ihr Volk aus der Sklaverei befreit hat, befiehlt: Du sollst den Sabbat heiligen.

Auf ihrem Insta-Account @modern_ritual schreiben die beiden Rabbinerinnen, die ihn hosten: „Shabbat isnt only for those of us, who work hard or are outwardly religious.
Shabbat is for every creature (yes, humans and animals!). Each of us deserving of rest.“

Amen sage ich dazu an diesem Tag der Arbeit. Und nächstes Jahr schreibe ich vielleicht eine echte Ode an die Arbeit. Wenn ich weniger arbeite.

 

Wochenaufgabe:

Mindestens einmal im Gras liegen (bei Kälte mit Isomatte).

Und recht oft einander erinnern: Ausruhen ist das Recht einer jeden Kreatur. Und nichts, wovor wir uns, aus welchen Gründen auch immer, fürchten sollten.