Der Ochs im Stall war eine Kuh. Muh.
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten und drüber schreiben. Heute: eine Weihnachtsgeschichte (jaja, es ist noch Advent, aber nun bin ich dran mit dem Spiritusblog und da müssen die Kirchenjahreszeit-Purist*innen jetzt halt stark sein. Sorry)

Ich bin sicher: der Ochs im Stall von Bethlehem war gar kein Ochs. Er war eine Kuh. Und diese Kuh war Mama Muh.
Und wenn du nicht weißt, wer Mama Muh ist, dann tust du mir sehr leid, aber das lässt sich ja ändern. Mama Muh ist nämlich die Beste. Jede*r sollte mindestens ein Buch über sie im Haus haben: https://www.oetinger.de/mama-muh

Mama Muh ist eine Kuh, die einfach macht, worauf sie Lust hat. Sie klettert auf Bäume, schwimmt im See, fährt Fahrrad, schlängelt sich bäuchlings am Boden durch den Stall und es ist ihr vollkommen egal, dass Kühe all das ja eigentlich gar nicht können. Außerdem ist sie die beste Freundin einer sehr schlecht gelaunten Krähe, was ihrer eigenen guten Laune und Gelassenheit aber keinerlei Abbruch tut.

Nun, da du weißt, wer Mama Muh ist, ist auch dir natürlich klar, dass sie einfach im Stall von Bethlehem gewesen sein MUSS. Denn wie hätten Maria und Josef, die Hirt*innen, Engel, Schafe und der Esel sonst diese ganze Weihnachtsaufregung schaffen sollen?

Ein neugeborenes Kind in der Winterkälte. Samt neugeborenen Eltern. Ein Haufen Leute, die einander nicht kennen. Engel zum Fürchten schön. Und dazu noch all die Dezembergefühle. All das Mitgebrachte von dir und mir. Tränen und Wut und Erschöpfung. Das nicht genug bekommen haben in diesem Jahr: nicht genug Zärtlichkeit, nicht genug Lob, nicht genug Pausen. All die mitgebrachte Welt: Krieg, Klimakatastrophe, Pandemie. Der Stall von Bethlehem war voll davon. Er ist es Jahr für Jahr.  Denn wohin sollten wir auch sonst gehen mit all dem? Wohin sonst als in diesen kleinen Raum mit Stroh und Dreck und mit dem Kind.

Voll war der Stall. Und ganz hinten an der Wand, gleich bei der Krippe, da stand Mama Muh. Sie atmete ruhig und ihr dicker Bauch bewegte sich dabei. Um sie herum war es warm. Wie es um Kühe herum immer warm ist, weil sie so warmherzige Tiere sind.

„Schaut nur“, sagte Mama Muh zu Krähe und zu mir. „Schaut nur: das Kind. Was für süße Fingerchen es hat. Was für schöne schwarze Haare.“  Und das stimmte. „Muh“. sagte Mama Muh. Sie sagte es ganz leise, um das Kind nicht zu wecken. „Muh.“ Und die schönen schwarzen Babyhaare bewegten sich in ihrem warmen Atem.

Dann drängten sich ein paar Hirt*innen nach vorne. Sie breiteten Worte aus: Frieden. Und: Wohlgefallen. Und: Finden. Und: Heiland.
„So schöne Wörter.“ sagte Mama Muh fröhlich. Aber Krähe rollte mit den Augen. „Wer braucht schon Wörter? Krächz. Echter Friede. Das wärs. Und wo bleibt eigentlich der Geburtstagskuchen und das Ende der Tränen?“ Und irgendwie hatte sie recht. Da stimmst du mir sicher zu.

Mama Muh lächelte versonnen. Und schüttelte ein bißchen ihre Hörner hin und her. So dass sich ihr Kopf bewegte. Und ihr Hals. Und die Glocke um ihren Hals fing an, ganz sacht zu bimmeln. Eine kleine Melodie. „Muh“, sagte Mama Muh. Und obwohl das ja nun so gar keine Antwort ist auf das Vermissen von Geburtstagskuchen und Frieden und von allem anderen, was fehlt im Leben, obwohl also, obwohl - vergaßen Krähe und ich und die Hirt*innen einen Moment alles, denn die Glocke bimmelte und das Kind wachte auf und streckte seine Händchen aus. Und alle im Stall machten: „Ooooooooh.“

Nur Mama Muh machte „Muh.“  Und einfach alles, in uns und um uns, der ganze kleine Raum mit Stroh und Dreck und Kind und wir alle dazu waren voll mit großer Freude.

 

Wochenaufgabe:

Etwas Kaltes (einen Löffel, einen Stein, eine Angst) in der Hand wärmen.