Was bin ich doch für ein kleingläubiger Mensch. Lasse mich irritieren und aus der Bahn werfen, wenn der Wind mir ins Gesicht bläst. Ärgere mich über Bischöfe, die nicht verstehen wollen, worauf es Jesus ankam. Hadere mit meiner Kirche. Zweifele an meinem Glauben. Hadere mit Gott. Und dann bin ich auf einmal mit dem Bayerischen Pilgerbüro in Assisi. An lauter heiligen Stätten. In der Basilica San Francesco. In der Kirche Santa Chiara. In der Einsiedelei delle Carceri. Im Kloster San Damiano. In Greccio. Am Berg La Verna. In der großen Basilica Santa Maria degli Angeli mit der kleinen Portiuncula-Kapelle in ihrer Mitte.
Und es verändert mich.
Ich sehe die Orte, an denen Klara von Assisi lebte, schwer krank, Gott ergeben, unerschütterlich und stark im Glauben. Höre die Geschichte, wie sie Mitte des 13. Jahrhunderts in San Damiano die Soldaten des exkommunizierten Kaisers Friedrich II. in die Flucht trieb – mit einer Monstranz in der Hand, mehr nicht. Frieden und Gutes wollte sie. Pace e bene.
Ich sehe die Orte, an denen Franz von Assisi sich aufhielt, den einen, wo Jesus zu ihm sprach: "Franziskus, geh hin und stelle mein Haus wieder her, das, wie du siehst, ganz verfallen ist." Den anderen, wo er die Frage hörte, "wem willst du dienen, dem Herrn oder dem Knecht?". Ich bin an Orten, an die er sich mit seinen Brüdern zurückzog, wo er wirkte, wo er Weihnachten entdeckte, für sich und für uns, sehe die Kammer, in der er schlief, auf nacktem Felsboden, mit einem Kreuz an der Wand, sonst nichts … Ich bin an der Stelle, an der er die Wundmale empfing und Christus gleich wurde – und an dem Platz, an dem er sterben wollte und tatsächlich auch starb. Es sind stille Orte und einsame Winkel, kleine Höhlen und abgelegene Grotten, oft umgeben von Olivenbäumen oder in Wäldern gelegen.
Ich bete, wo Franziskus gebetet hat, in der Einsiedelei delle Carceri, in der Einsamkeit der Berge, an seinem Altar, wo nur ein paar Bänke stehen und ein Tisch und am Hang ein Kreuz und lauter Glaubenszeugnisse in den Felsvorsprüngen stecken oder auf Steinen liegen, von Pilgern aus aller Welt, kleine Kreuze aus krummen Ästen, von Schnüren zusammengehalten, Andachts- und Heiligenbildchen der beiden, Klara und Franz. Ich bin dort ganz allein und schaue auf das Kreuz, an dem ungezählte Ketten und Rosenkränze hängen, die davon zeugen, wie viele Menschen hier schon gebetet haben. Und ich staune, und ich danke und bitte und versäume beinahe den Anschluss an unsere Gruppe, dort oben in den Bergen …
So viel Frieden hier. So viel Gutes. Pace e bene.
Jeden Morgen, lang bevor die anderen aufstehen, gehe ich in die Unterkirche der Basilica San Francesco, zur Laudes der Minoriten. Nur wir sind dort, sie und ich. Noch sind keine Pilger unterwegs, die Tagestouristen kommen erst um halb 8 in die Stadt. Der erwachende Tag gehört mir. Eingehüllt im Gebet und im Gesang – geschützt. Wie auf einem Klangteppich mit italienischen Farbtupfern schwebe ich durch den Lobgesang. Santa Croce. Gloria. Padre. Filius. In Spiritu Sanctu. Pace.
Jeder Ort, an dem ich war, ist heilig, das wusste ich. Jeder ist mir heilig geworden. Jeder auf seine Weise. Die abgeschiedenen Rückzugsorte ebenso wie die großen Kirchen. Und auf einmal ist Gott wieder ganz nah. Und der Glaube ungebrochen.
Und so kehre ich zurück nach München in der Hoffnung, mich nicht mehr aus der Bahn werfen zu lassen, wenn der Wind mir erneut ins Gesicht bläst. Ich will Frieden und Gutes, auch hier. Frieden in meinem Herzen. Und Gutes für meine Kirche.