Wem gehört Gott?
Begegnungen in Jerusalem

Als ich das letzte Mal in Israel war, genau vor drei Jahren, war ich wie elektrisiert. Wir reisten auf den Spuren Jesu quer durch das Land, acht Tage lang. "Acht katholische Tage, die mich verändert haben", schrieb ich damals im Spiritusblog.

Jetzt bin ich katholisch und war wieder im Heiligen Land. Und wieder waren es Tage, die mich veränderten. Aber anders. Vielleicht liegt es daran, dass wir nur in Jerusalem waren, wobei "nur" und "Jerusalem" ein Widerspruch in sich ist. Oder weil ich die Kirchen schon kannte, Dominus Flevit auf dem Ölberg mit seinem schönen Blick auf die Stadt, die Todesangstbasilika im Garten Gethsemane mit dem Felsen, auf den sich Jesus geworfen hatte, St. Anna mit ihrer unglaublichen Akustik, die Grabeskirche mit ihren vielen Verästelungen. Vielleicht war es die Lage der Unterkunft, diesmal nicht außerhalb der Stadtmauer, sondern mittendrin im Österreichischen Pilger-Hospiz an der Via Dolorosa, in Ostjerusalem, im arabischen Teil, in dem jeden Abend nach Sonnenuntergang laut und fröhlich Ramadan gefeiert wurde, vor allem in der Nacht der Erleuchtung, in der tausende junge Leute in den Gassen der old City ausgelassen "Allahu Akbar", Gott ist größer, riefen, und wir mittendrin - und nichts, aber auch gar nichts daran beängstigend war. Oder weil kaum Touristen in der Stadt waren, die einen wegen der pandemiebedingt aufwändigen Einreise, die anderen aus Angst vor Unruhen in der letzten Woche des Ramadans.

Gewiss, die Kirchen haben nichts an ihrer Faszination verloren, zumal sie sich ohne Pilgergruppen zeigten, still, ohne Eile, zum Teil menschenleer. Das ging nicht spurlos an mir vorüber. Natürlich nicht.

Doch letztlich waren es zufällige Begegnungen, die mich gefangen nahmen. Begegnungen, die es nur in Jerusalem geben kann. Zwei davon gehen mir nicht mehr aus dem Sinn.

Da war die Frau an der Western Wall, die mich freundlich ansah, als ich dort stand, mir eine Karte mit einem Gebet in die Hand drückte und sagte: "Jewish or not Jewish, it works for everybody!", so dass ich mich zu ersten Mal traute, ganz nach vorne zu gehen und die Hand auf die Klagemauer zu legen, um zu beten. Und niemand wunderte sich.

Da war der Mann, der auf den Stufen neben einem Gedenkstein mit arabischem Schriftzug saß. Der Stein erinnert an einen palästinensischen Jungen, der als Vergeltung für den Tod dreier israelischer Schüler verschleppt, mit Benzin übergossen, angezündet und bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. Als wir stehenblieben, sprach uns der Mann an. I am his uncle, sagte er leise. Genau hier, auf den Stufen, habe sein Neffe gesessen, während er auf seinen Vater gewartet hatte, der in der Moschee gewesen war. They stole him, flüsterte er fast. Und ich denke an Fritz, meinen Bruder, der uns gestohlen wurde. Genauso sinnlos.

Da blickte der Mann nach oben. We believe, sagte er. He is with God. Und wir falten unsere Hände. We also believe, sagt mein Begleiter, der Priester ist und seit Jahren in Jerusalem lebt. So waren wir beieinander, wir drei. Und schauten in den Himmel. Ganz kurz nur verharrten wir so an dem Ort der Katastrophe; drei Menschen, die der Zufall zusammengebracht hatte. Im Gebet vereint.

Wessen Gott ist nun der richtige: Jahwe, Allah oder Gott?
Und wer hat recht?
Welche Religion stimmt?
Das Judentum, der Islam oder das Christentum?
Und wer betet richtig?

Die, die winzige Zettel in die Klagemauer stecken? Oder die, die in der Grabeskirche auf dem nackten Boden knieen? Die, die im Ramadan ausgelassen "Allahu Akbar" rufen? Oder die, die die Via Dolorosa entlangpilgern, mit einem großen Kreuz an der Spitze ihres Zuges?

Solche Fragen stellen sich hier nicht. Während wir im Westen schnell darüber urteilen, was richtig und falsch ist, leben die Menschen in Jerusalem ihren Glauben und lassen die anderen ihren leben.

Ich vermute, Gott gefällt das. Denn egal, wie man ihn nennt, Jahwe, Allah oder Gott. Und egal, wie man betet, vor der Westmauer, Richtung Mekka oder unter dem Kreuz: Gott gehört niemandem.

Es stimmt. Auch diese Reise hat mich verändert. Aber anders. Ich bin sensibler geworden, offener, umsichtiger vielleicht. Weil es religionsübergreifend war.

Das ist eben auch Israel.