12x4 Meter! So groß ist eine Flagge in den ukrainischen Farben, die wir gestern an unserem Kirchturm im Dörfchen Eime gehängt haben. 200 Menschen waren dabei, als sie sich vom Dach der Kirche den Turm hinunter entrollte.
Entstanden ist diese Flagge in einer großen Gemeinschaftsaktion: Nach den Überfall Russlands auf die Ukraine wollten alle etwas tun. Die Heimat- und Kulturvereine wollten an den Kriegerdenkmälern die ukrainische Flagge hissen. Als Mahnung! Doch es gab keine Ukraine-Flaggen mehr zu kaufen. Also fragte man rum und die Kirchengemeinde rief zu Stoffspenden auf: „Bringt uns blaue und gelbe Stoffe, Kleider, Bettwäsche Shirts, egal was!“ Vor unseren vier Kirchentürmen kamen viele Säcke zusammen. Und ebenso viele Frauen kamen mit ihren Nähmaschinen, um eine Flagge aus dem zu nähen, was gespendet wurde.
Gemeinsam ist die Flagge dann so groß geworden. In einer Zeit, in der ein Land beschossen und bombardiert wird. In einer Zeit, in der wir Bilder ertragen müssen, auf denen krebskranke Kinder in Kellern Zuflucht suchen und alte Menschen in U-Bahn-Schächten ausharren. Und das alles, weil ein Machthaber die Macht dazu hat. In dieser Zeit haben wir hier eine Flagge genäht, weil das in unserer Macht steht. 12x4 Meter Stoffteile und Nähte.
Der Machthaber im Kreml wird diese Flagge vermutlich nie zu Gesicht bekommen. Sie wird das Weltgeschehen auch nicht verändern, das wissen alle. Aber dennoch hat sie etwas mit uns gemacht, als wir sie entrollt haben, mit uns allen, die wir da standen und Gott unter dieser Flagge um Frieden gebeten haben. Denn unsere Welt haben wir selber in der Hand. Wir entscheiden, in welchen Farben unsere Welt erstrahlt. Wir entscheiden, ob wir denen, die Schutz brauchen, Schutz gewähren. Wir entscheiden, ob wir denen, die mit der Aussicht auf Krieg in Angst verfallen, Mut spenden und ob wir denen, die jetzt Streit säen, Frieden anbieten. Es ist unsere Welt.
Und wir haben nicht das Weltgeschehen in der Hand, aber unsere Welt schon. Jeder zu einem kleinen Teil. Wir sind nicht machtlos, selbst wenn wir nichts gegen den Krieg ausrichten können.
Ein Teil dieser Flagge besteht aus einem Waschlappen. Einem kleinen gelben Waschlappen, bei dem sogar noch ein bunt bestickter Teil abgeschnitten werden musste, damit er als gelber Stoff durchgeht. Diesen Waschlappen hat meine Tochter zur Geburt geschenkt bekommen. Es ist ein kleiner Stück Frotteestoff, mehr hatten wir nicht zu Hause in passenden Farben. Aber trotzdem ist dieser Waschlappen jetzt ein Teil dieses großen Werkes. Weil schon das kleinste etwas bewirkt, wenn alle ihr Kleinstes geben.
Ich neige nicht zur Pathetik und Kitsch liegt mir eigentlich eher fern. Aber gestern, dort unter der selbstgenähten Flagge, als mir eine der älteren Damen, die selber mal auf der Flucht war, „Danke“ sagte. In dem Moment wusste ich, dass an dieser Sache mit dem Senfkorn und dem ganz kleinen aus dem etwas Riesiges werden kann, tatsächlich etwas dran ist.
Ein Gebet:
Gott, wir hier nennen Dich Vater, genau so wie viele Menschen in der Ukraine! Wir sind aber nicht nur dadurch verbunden, dass wir alle deine Kinder sind, sondern auch, dass wir uns alle eine Welt des Friedens wünschen.
So rufen wir für unsere Geschwister zu Dir, denn sie können gerade nicht: Sie kauern voller Angst in U-Bahnschächten, Trauern um Ihre getöteten Söhne, Männer und Väter, stehen völlig ausgebrannt tagelang an den Grenzen oder nächtigen an Bahnhöfen unseres Landes auf der Suche nach einer neuen Bleibe.
Wir bitten Dich, lass uns die Flagge am Kirchturm ein Symbol des Zusammenhaltens sein. Viele ausgelagerte Stoffreste sind verbunden worden zu einem Ganzen. So bitten wir Dich, öffne unsere Herzen, mache sie riesengroß, damit wir hier in Deutschland zusammenstehen, um den Menschen aus der Ukraine gute Freunde zu werden.
Lass sie spüren, wir sind mit empört über die Ignoranz und kaltblütigkeit des Kremels und wir bangen mit Ihnen um den Frieden in Europa.
Gott, zeig uns wie wir helfen können - Amen!