Eine der letzten unbestrittenen Kirchenjahreszeiten. Kirchliche Leute schimpfen gelegentlich auf die Dominosteine im September. Die Welt richtet sich nicht mehr nach unserer Zeitrechnung. Das wird sich nicht ändern, auch nicht durch Vorwürfe. Christliche Kalender-Hoheit verfliegt, und es gibt einen neuen Status: Wir sind jetzt Mitspieler im gesellschaftlichen Abstimmungs-Dschungel, nicht mehr Bestimmer.
Dominosteine im September korrumpieren die Botschaft vom göttlichen Kind nicht. Sie beweisen auch nichts, wenn sie erst am 1. Advent erscheinen. Bräuche erinnern und vergegenwärtigen. Man kann darauf hinweisen, dass in diesen fluiden Zeiten feste Riten einen Gegenpol zum zerrupften Dasein bilden können. Es gibt inzwischen viele Fürsprecher für diese These - auch junge Menschen, die sich neu an Rhythmen halten und Erdbeeren nicht im Januar essen. Bestimmte Entwicklungen erzeugen nach einer Weile oft von selbst eine Gegenbewegung. Das Rettende wächst mit - das kann man gelassen vermuten.
Überzeugen statt Behaupten
Die wuchtigen Bilder dieser Kirchenjahreszeit müssen es jetzt selber schaffen, keine flächendeckende Gewohnheit trägt sie mehr. Sie überzeugen - oder eben nicht. Viele von Ihnen wenden mit Erfolg sehr viel Fantasie auf, diese seltsame Welt klingen und duften zulassen. Sie stellen sich der Konkurrenz des Weihnachtsmannes, Sie rudern zwischen Kauftempeln, Sie stimmen unzählige Menschen vor Ort ein auf einen extrem unwahrscheinlichen Zusammenhang: dass Gott auf einem Gesicht erscheinen kann.
Das ist in sich eine stetige und kraftraubende Leistung: Allein diese Übersetzungsarbeit, die Sie leisten hinein in ein Umfeld, dass diese Mythen nicht vom Kindsbett her kennt.
Gern wieder wie letztes Jahr
Es genügt, das Gleiche wieder zu erzählen - wie letztes Jahr. Man hatte es vergessen und möchte nur erinnert werden, das reicht. Eigentlich braucht es gar nicht so viel Originalität. Das ganze Netz, jede Kaufmeile ist so unerträglich ‚originell‘, dass wir mit dem immer Gleichen vielleicht inzwischen viel spannender sind.
Individualität haben wir gewollt
Über die Jahrhunderte hin haben Menschen dies Weltstürzende zunehmend ernst genommen: Wenn dieser eine göttlich ist, dann sind wir alle es wohl auch. Ich bin nicht mehr nur Teil einer Masse. Paulus bestätigt diese gewagte Fantasie von der Würde jedes einzelnen Menschen. Heute ist das einklagbar und parlamentarisch gesichert. Nach 2000 Jahren. So lange braucht die kollektive Seele, bis sie etwas Grundsätzliches als selbstverständlich empfindet. Der Mensch wurde aufgewertet, er bekam frei am Sonntag, damit er hören konnte, wie göttlich er gemeint ist. Und so ist die Individualität der Einzelnen gewachsen. Das ist also u.a. kirchliches Werk. Alle profitieren davon, kennen aber selten die Rolle der Kirche dabei und wählen sie auch nicht mehr. Individuen entscheiden nun selbständig. Sie lassen sich nicht mehr alles vorschreiben, was die Partei, die Kirche, die Gewerkschaften sagen. Sie stimmen mit den Füßen ab. Auch kirchliche Mitarbeitende sind selber oft hoch individualisiert und trauen Verordnungs-Versuchen ‚von oben‘, die irgendeine Einheit herstellen wollen, nichts zu.
Insofern können wir nicht ganz unschuldig auf ‚die Individualisierung‘ schimpfen, die vermeintlich den Konsens untergräbt. Wir als Kirche haben dies mit anderen zusammen nachhaltig betrieben, und das ist ein echter Welterfolg. Viele Völker beneiden uns darum. Wir könnten stolz sein.
Deswegen lohnt es nicht zu erwarten, die Menschen seien gewohnheitsmäßig bereit, sich den kirchlichen Rhythmen anzugleichen (s. auch das Tanzverbot am Karfreitag). Sowas kann man nicht mal heimlich hoffen. Sie kommen auch nicht aus Dankbarkeit zu uns - z.B. für ihr Ansehen oder ihr Würde-Gesicht. Dabei haben wir extra hohe Kirchen gebaut, damit die Krone der Leute da reinpasst. Aber Wohlergehen ist vergesslich.
Das flächendeckend Gewohnheitsmäßige ist vorbei.
Synkretismus
Wenn sich Konsens bildet, dann nur mit Überzeugungen und persönlichem Kontakt. Und auf Zeit. In der Weihnachtszeit funktioniert das noch ganz gut, weil sich der Mythos mit vitalen anderen Interessen der Gesellschaft verbindet. Es ist also auch ein Vorteil für uns, wenn Leute ‚Familie‘ und ‚Helles im Dunklen‘ und ‚Geschenke‘ wollen. Aus der Sicht entschiedener Christen sind das ‚sekundäre‘, also uneigentliche Motive. Aber man kann an der schütteren gesellschaftlichen Resonanz auf Ostern und Pfingsten ahnen, was wäre, wenn die fehlten. Also: Synkretismus ist bisweilen sinnig.
‚Gemeinde‘
wird sich nicht nur zu Weihnachten neu denken müssen - auch was den Gottesdienst am Sonntag angeht.
Aber Gottesdienst und christliche Bilder werden nicht abhanden kommen, darum sollte man sich keine Sorgen machen. Sie fließen in andere Formen - wie jede lebendige Liebe.