Es wert sein
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten: Beginn Jahr 3 der Pandemie.

Sollte ich mir eine Tapferkeitsurkunde ausstellen für Pandemiejahr 1 und 2, so würde sie lauten:
„Diese Urkunde der Tapferkeit ist für dich, Birgit - für sehr große Genügsamkeit.“

Ich habe monatelang nicht viel mehr von der Welt gesehen als meine Wohnung, den Rewe und die Hügelkette am Horizont (und okay: sehr viele Serien). Ich habe an einem winzigen Küchentisch Seminare allein mit Bordmitteln geleitet. Habe nur vor ganz engen Freund*innen geschimpft und gewütet und geweint über dieses Land und diese Kirche, die immer noch so oft im Faxgeräte-Modus sind (okay, das habe ich viel und oft) und ansonsten, wo immer es ging, gelächelt und das beste draus gemacht. Ich habe mich festgehalten an den wenigen Malen, an denen ich ganz ohne Bildschirm zwischen uns mit Menschen zusammen war, die mir wohl tun. Und viel Angst gehabt, dass ich es verlerne, mit anderen in einem Raum zu sein (die habe ich immer noch). Ich hab immer eher das Rücksichtnehmen gewählt als das Wird-schon-gut-gehen.

Das war und ist natürlich alles auch richtig, vernünftig und solidarisch. In diesem Pandemiejahr 3 Woche 2 brauch ich aber eine Pause von der Genügsamkeit. Ich brauche dringend das Gegenteil: übertreiben, unersättlich sein, extravagant, Großes erwarten vom Leben.

Ich brauche das Unnötige: den Zimt im Kaffee, die Paillettenjacke an einem normalen Montag, wenigstens manchmal das Kino und nicht den Stream. Ich brauche die Aussicht, einmal wieder ans Meer zu fahren und nach Berlin. Den Geruch der gefrorenen Wäsche, wenn ich sie vom Balkon ins Wohnzimmer hole. Die Kerze, wo es auch das Deckenlicht täte. Mehr wirkliche Gespräche, mit Bildschirm oder ohne, wackelig und vorsichtig vermutlich, wie wenn man lange mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden saß und nun versucht aufzustehen.

Am meisten brauche ich wohl immer und immer wieder diesen Satz: dass ich es wert bin. Ich bin den Zimt wert, die Pailletten und das Verstandensein.

Und vielleicht ist das für diese Woche 2 Pandemiejahr 3 mein ganzer, mir gar nicht selbstverständlicher Glaube: dass ich aus einem großen Ja komme und in einem großen Ja bin: ja, ich bin es wert - einfach so.

 

Wochenaufgabe also für mich:

Jeden Tag etwas Unnötiges, nicht Genügsames tun. Mit der Paillettenjacke beginnen. Evtl. Tüll hinzufügen (Carrie Bradshaw machts ja endlich wieder vor).