Freiheit!
Zum Reformationstag wird das Wort "Freiheit!" wieder landauf-landab beschworen. Richtig so: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit!"
Und trotzdem saß ich da und wünschte mir weniger Freiheit. Ich bin durchaus nicht reaktionär, vielleicht etwas konservativ, aber tatsächlich kann ich mit reiner, purer Freiheit, wie sie mir so entgegen schallt immer weniger anfangen, mich überfordert das auch maßlos!
Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt, meine Eltern hatten ein Tagesgeldkonto und wenn es ganz aufregend zuging, noch einen Bausparvertrag! Sie haben im Prinzip das gemacht, was der nette Herr von der Bank ihnen gesagt hat.
Ähnlich war es in medizinischen Fragen: „Ihr Kind hat Läuse - Kaufen sie ein Packung Goldgeist und waschen sie damit die Haare!“ Gesagt getan, auch wenn die andere Kindsmutti vor möglichen Nebenwirkungen für Leber und Nieren warnte.
In meinen 20ern hielt ich das auch noch für fragwürdig, hielt meine Eltern für zu „einfach gestrickt“, aber i-wie sind sie gelassener als ich (könnte natürlich auch am Alter liegen). Sie leben noch heute so: Sie sind z.B. die typischen Wechselwähler, Sie wählen Politiker*innen, die sie sympathisch finden, denen sie „vertrauen“!
Und wenn jetzt überall über Freiheit geredet wird, dann will ich auch mal wieder Vertrauen. Nicht, weil beides Gegenbegriffe sind, die einander ausschließen, sondern weil das eine zu kurz kommt. Wir sind immer und in allen Fällen „Expert*innen“!
Ich selbst möchte auch zu Menschen gehen können und ihnen bestimmte Dinge überlassen, einfach weil sie die nötige Expertise besitzen. Ich selbst schaffe es nicht, mir in allen Bereichen alles nötige Wissen anzueignen, um tatsächlich immer faktenbasierte Urteile fällen zu können. Es ist nicht gerade modern, das zuzugeben, aber es ist Realität.
Ich will anderen vertrauen, dass sie es schon gut machen und meinen. Unsere Welt ist komplex, unglaublich komplex. Ich kann Expertin meines Feldes sein, meines ganz kleinen und überschaubaren Feldes, aber mehr auch nicht.
Christus hat uns zur Freiheit befreit, daran will ich in vielem nicht rütteln, aber für unseren Alltag brauche ich mehr als Freiheit, ich brauche die Freiheit, um zu vertrauen. Christus hat uns schließlich nicht nur befreit, er hat uns doch auch gezeigt, dass Gott ein „glühender Backofen voller Liebe“ ist. Ist dort nicht auch genug Platz für Vertrauen in die Menschen, dort am Backofen, wo wir zusammenkommen? Dort am Backofen kann ich meine Freiheit in andere Hände legen, weil ich vertraue, dass dort noch mal mehr Expertise vorhanden ist.