Ich war gerade in Berlin, zum ersten Mal seit langer Zeit. Beim Bruder war ich auch, wie immer, wenn ich dort bin. An seinem Grab. Wie schnell doch alles vorbei sein kann, alles, wirklich alles. Ein Menschenleben ausgelöscht. Einfach so. Vorbei, für immer. Weil einer den Verstand verloren hat. Als ich den Bruder-Namen lese und eine Kerze anzünde, ein Hoffungslicht vielleicht, fällt mir das jüngste Mitglied der Familie ein. Zwei Monate ist der kleine Bub jetzt alt. Ein strahlend-fröhlicher Geselle. Geliebt, umhegt von seinen drei Geschwistern. Ein Menschenleben, das gerade erst beginnt.
Zurück in München schau ich die Nachrichten. Sehe die Bilder von reißenden Flüssen, die sonst eher harmlos sind, von abgeschnittenen Orten, mitgerissenen Häusern, verzweifelten Menschen, höre von Vermissten und Toten, unter denen auch Feuerwehrleute sind. Katastrophenfall, Notstand, Alarmsirenen, Lebensgefahr. Ich bin im Rheinland aufgewachsen und kenne die Gegenden gut, die betroffen sind, besonders die Eifel, aber auch Euskirchen und Rheinberg, und kann nicht fassen, was da geschieht.
Wassermassen bei uns und in Kanada Temperaturen von bis zu 50 Grad. Eben noch brannte es an der Westküste, auch im US-Staat Washington, der mir vertraut ist, weil ich dort einmal als Austauschschülerin war, nördlich von Seattle. Nie war es heiß gewesen. Wegen der Lage zwischen dem Pazifischen Ozean und den Rocky Mountains regnete es viel und es war eher kühl. Als ich nun die Feuer sah und die Stürme und die fliehenden Menschen, kamen mir die Tränen.
Wieder denke ich an das Familienkind, das gerade erst die Welt entdeckt. Die kleine Welt, die den Knaben umgibt. Die große Welt, die auf ihn wartet, kennt er noch nicht. Was machen wir aus der Erde, die wir ihm hinterlassen? Was machen wir aus ihr, die doch die Seine ist? Die Seine, die seiner Geschwister und aller anderen Menschenkinder …
Was machen wir aus Gottes Schöpfung?
Ich habe nie an einen Gott geglaubt, der unsere Geschicke leitet. Ich glaube, dass er uns das Leben schenkt (ob er uns auch das Leben nimmt, ist eine andere Frage). Verantwortlich aber sind wir. Es liegt an uns, was wir aus dem Leben machen, das Gott uns gab. Aus uns und seinem Paradies.
Ich will nicht grün daherreden. Und auch der Wahlkampf ist mir einerlei. Ich mag die Besserwisserei und die Beschuldigungen nicht, die ihn beherrschen. Und ich verabscheue Wahlkampf auf Kosten derer, die leiden. Überdies weiß ich, dass das, was durch den Klimawandel nötig ist, gut abgewogen werden muss. Dass es ums Klima geht und um Arbeitsplätze. Dass Fortschritt radikal sein muss, aber auch sozial verträglich. Natürlich weiß ich das. Und trotzdem kann ich vieles nicht verstehen.
Um nur ein Beispiel zu benennen, die Fahrt von München nach Berlin. Die Strecke kenne ich in- und auswendig. Immer nehme ich die Bahn. Nur diesmal nicht, weil ich Diverses transportieren musste. 530 Kilometer trennen beide Städte. 530 baustellenreiche Kilometer. LKW an LKW (wenn die doch endlich auf die Schiene kämen). Und wenn die Autobahn dann mal frei ist, wird gerast, als gäbe es kein Heute und kein Morgen mehr, keine Gefahr und keine andere Menschenseele (wie gut wäre doch ein Tempolimit). Fünf Flughäfen säumen die A9: Leipzig, Erfurt, Hof, Bayreuth, Nürnberg. Berlin und München dazugenommen sind es sieben. Sieben! Das macht im Schnitt fast alle 76 Kilometer.
Ich glaube nicht, dass wir das brauchen (wie so vieles andere auch). Ich weiß aber, dass es die Schöpfung nicht bewahrt, zu deren Schutz wir nach der Bibel aufgerufen, ja beauftragt sind: Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. (1. Mose 2,15)
Gott hat uns die Erde anvertraut, damit wir sie bearbeiten und behüten (EÜ), bebauen und bewahren (LUT), um sie zu hegen und zu pflegen. Nicht um sie zu zerstören. Damit das Leben gut sein kann für die, die nach uns kommen. Das sind wir ihnen schuldig, wenn wir schon sonst so wenig tun können für ihren Schutz vor einem Unglück.
So wünsche ich mir ein elftes Gebot - im Namen derer, die erst am Anfang ihres Weges sind. Weil man nie weiß, was kommt. Und wenigstens die Welt, die sie erwartet, so unverletzt wie möglich bleibt. So könnte es lauten, das Gebot, das fehlt, und das für alle gelten sollte, ob sie nun glauben oder nicht: Du sollst nicht zerstören deiner Kinder und Kindeskinder Welt noch alles, was dazugehört.
Denn es ist der Garten Eden.