Wohlstandsevangelium – Mein Selbstversuch
Es gibt in einigen christlichen Kreisen die Auffassung, Wohlstand und Erfolg seien ein Anzeichen für die Gnade Gottes im eigenen Leben. Im Umkehrschluss bedeutet dies dann doch auch, dass einige dafür vorherbestimmt sind, reich zu sein oder aber dass man sich Geldvermögen herbeibeten oder durch gute Taten an anderen Menschen verdienen kann. Genau das habe ich im letzten Monat mal ausprobiert. Ich dachte mir, im schlimmsten Fall habe ich einfach nur mehr gebetet und häufiger als sonst eine gute Tat begangen.

Vorüberlegung

Jedes Experiment, benötigt allerdings ein messbares Ergebnis, um es abschließend auswerten zu können. Die Frage ist also, wie kann ich den Gebetserfolg ablesbar machen? Hier habe ich mir überlegt, ein gewisses quasi spirituelles Stammkapital zu nehmen. Es gab zwar heftige Diskussionen zu Hause, aber damit ich auch wirklich etwas riskiere und das mit dem Beten ernst nehme, setzte ich 3.000 Euro ein.

Durchführung

Schritt 1

Zunächst habe ich mir ein Wertpapierdepot bei einem Online-Broker eingerichtet, das ist mittlerweile so einfach, dafür verlässt man nicht mal mehr das Haus, nur einen Ausweis muss man zur Hand haben. Ich dachte, für steigende Aktienkurse kann ich gut beten, da hat Gott einfach ein Spielraum zur Verfügung und kann meinen Selbstversuch auch richtig abstrafen. Schien mir ein faires Spiel zu sein. Ich fing zögerlich an und kaufte mir für 104€ eine Apple-Aktie. Diese stieg dann auch in den folgenden Tagen auf 113€ an. Allerdings fühlte es sich nicht gut an, Gott um einen höheren Apple-Wohlstand zu bitten. Also verkaufte ich dies schnell wieder, immerhin mit meinem ersten Plus.

Dazwischen meldete sich dann aber die Stimme der Nachhaltigkeit: Ist Gott vielleicht nur bei mir, wenn ich in klimaschützende, moralisch hohe Standards vertrete und in gerechte Löhne zahlende Unternehmen investiere? Da habe ich dann ja gute Tat und Gebet beieinander. Aber um mich da zu informieren, musste ich Geld in Zeitschriften investieren, um mir überhaupt erst einmal einen Überblick zu verschaffen. Und nebenbei hörte ich Podcasts. Während ich die ungeliebten Spaziergänge mit dem Kinderwagen durchs Dorf unternahm, berieselten mich also Aktienanalysen und Risikokapitalanlagen. Und dabei fing an zu beten, dass Gott mir doch einfach  beim Spazierengehen ein Päckchen mit Geld vor die Füße fallen lasse.

Schritt 2

Als am Aktienmarkt kein größerer Gewinn zu erwarten war und stattdessen meine Nächte immer kürzer wurden, da Aktienanalysen und Gebete durchaus Zeit brauchen, die ich eigentlich gar nicht habe, begann ich, Geld in ein Lottospiel zu stecken. „Lieber Gott, schenke mir heute Abend sechs richtige – Amen!“ ist eine Gebetserfahrung wert, so viel kann ich weitergeben. Allerdings hat Nichts mein Stammkapital wachsen lassen, im Gegenteil. Von den 1000€, die ich nach nächtlich ausgiebiger Recherche in ein großes Unternehmen steckte, sind nur noch 700€ da, trotz richtig vieler und wiederkehrender Gebete.

Schritt 3

Lediglich mit den „guten Taten“ hätte ich einiges verdienen können, denn in dieser Zeit habe ich vermehrt ältere, alleinstehende Menschen zu ihren Impfterminen gefahren und diese waren schon sehr dankbar und wollten mir fast immer dafür ein Scheinchen in die Hand drücken. Ich glaube, das „Gute-Taten-Geschäftsmodell“ hätte noch Potential, wäre ich nicht Pastorin und müsste jede Spende der Kirchengemeinde abführen. Auch muss ich gestehen, dass ich durch die Dankbarkeit der Menschen hier schon auch Gnade Gottes erfahren habe, allerdings eher durch das Lächeln und weniger durch die Brieftasche.

Ergebnisrechnung

Am Ende sind von meinen 3.000 nur noch knapp 2.500 Euro vorhanden: Verluste beim Investieren, der Lottoeinsatz und die klugen Zeitschriften haben das Stammkapital schrumpfen statt wachsen lassen. Lediglich die Fahrten zum Impfzentrum hätten noch einen Gewinn von 150 Euro abwerfen können, wenn ich nicht Pastorin wäre.

Fazit

Um Gottes Liebe zu mir als Momentaufnahme zu verifizieren hat das Experiment mich eher deprimiert und alles andere als meine Begünstigung bei ihm bestätigt. Ich glaube allerdings auch nicht an den Zusammenhang zwischen Gnade und Geld und vielleicht liegt da auch im mangelnden Glauben das Problem. Je mehr ich um Gnade und Geld kreiste desto abstruser erschien es mir. Einen Monat lang mal nur darauf zu schauen öffnet schon tatsächlich die Augen. Dennoch habe ich einiges gelernt, was ich nie wieder vergessen will.

Ich habe in ganz anderen Debatten wie den tatsächlich wichtigen um Rassismus so oft den Satz „Check your privileges“ gelesen. Sich die eigenen Privilegien bewusst zu machen, passiert nicht allzu oft. Im letzten Monat aber, passierte das quasi nebenbei. Ich konnte tatsächlich 3.000 Euro für ein Experiment einsetzen. Das Geld zu verlieren hätte geschmerzt, aber ich hätte danach keinen Hunger haben müssen. Ich hätte lediglich ein Jahr lang auf neue Klamotten verzichten müssen und auch das eher aufgrund ehelicher Absprache als aus Not. Das hätte ich mir vor zehn Jahren niemals träumen lassen. Das könnte ich meiner Mutter bis heute nicht sagen. In so vielen Teilen der Welt klingt das ganze nach Irrsinn. Was ich mir alles leisten kann, ist unglaublich und ein Privileg. Wahrscheinlich hätte ich auf andere Art nie so viel über meine Privilegien gelernt. Es hat sich also auf ganz andere Art durchaus gelohnt. Und es bleibt auch etwas zu Gottes Gnade in meinem Kopf. Trotz aller theologisch-rationalen Überlegungen, dass Gottes Gegenwart nicht am vollen Gelbeutel abzulesen ist. Trotzdem blieb bei mir etwas übrig davon, dass ich ganz schön gesegnet bin, wenn ich dieses Experiment einfach so durchführen kann.