Vor einer Woche gab’s einen wahren Gottesdienstmarathon im Fernsehen. Am Freitag: Trauergottesdienst für Hans Küng in der Tübinger St.-Johanneskirche im SWR. Am Samstag: Trauerfeier für Prinz Philip in der St-George's-Kapelle auf Schloss Windsor in der BBC (und natürlich auf diversen deutschen Kanälen, die ich mir aber ersparte, weil ich das oft indiskrete Dazwischengerede nicht leiden kann). Am Sonntag, anlässlich des 500. Jahrestages der Widerrufsverweigerung Martin Luthers: Festgottesdienst in der Wormser Magnuskirche im ZDF. Direkt im Anschluss: Corona-Gedenkgottesdienst in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in der ARD. Und hinterher habe ich mich erschöpft gefragt, welche Feier Gott wohl gefallen hätte.
Ich glaube, es wäre der britische. Wie dort mit leichter Hand des Prinzen gedacht wurde - und Gottes. In Größe und Bescheidenheit. Mit Haltung. Und Würde. Mit einer Botschaft. Und ganz ohne Moral.
Schon die Musik war ein einziges Gebet, das alle verstehen konnten, auch die, die nicht glauben: das Eternal Father, Strong to Save von J. B. Dykes; das Jubilate Deo von Benjamin Britten; Psalm 104 von William Lovelady; und schließlich das Russian Kontakion of the Departed.
Auch die Worte aus der Bibel, die der Herzog von Edinburgh ausgesucht hatte, waren für alle geeignet, für die, die glauben, für die, die nie die Bibel lesen, die anders glauben, und die, die gar nicht glauben (Jesus Sirach 43,11-26):
Sieh den Regenbogen an und lobe den, der ihn schön gemacht hat in seinem Glanz. Er wölbt sich am Himmel in einem herrlichen Bogen; die Hand des Höchsten hat ihn gespannt. Auf sein Geheiß hin fällt der Schnee, und er lässt Blitze herabfahren, wie er will. Darum tun sich die Himmel auf, und die Wolken ziehen wie Vögel dahin. Mit seiner Kraft presst er die Wolken zusammen, und der Hagel prasselt herab. Seines Donners Stimme erschüttert die Erde, bei seinem Anblick zittern die Berge. Nach seinem Willen wehen der Südwind und der Nordwind und der Wirbelsturm. Wie einen Vogelschwarm streut er den Schnee; der fällt herab, wie Heuschrecken sich niederlassen. Seine weiße Pracht blendet das Auge, und das Herz staunt über solch seltsamen Regen. Er schüttet den Reif auf die Erde wie Salz, und wie Dornen wachsen Kristalle. Wenn der kalte Nordwind weht, friert das Wasser zu Eis; wo Wasser ist, da bleibt er und kleidet es wie mit einem Harnisch. Er verschlingt die Berge und verbrennt die Wüste, und was grün ist, versengt er wie Feuer. Dagegen hilft der feuchte Nebel; und der Tau nach der Hitze erquickt alles wieder. Durch seinen Ratschluss brachte der Herr die Wasser der Tiefe zur Ruhe und setzte Inseln darein. Die auf dem Meer fahren, erzählen von seinen Gefahren, und wir, die es hören, verwundern uns. Dort gibt es erstaunliche Dinge und wunderbare Werke, mancherlei Tiere und Seeungeheuer. Der Herr geleitet seinen Boten ans Ziel, und durch sein Wort besteht alles.
Am Schluss schließlich ein Dudelsackspieler, der langsam die Kirche verlässt, Schritt für Schritt, ganz allein, der vor dem Kirchtor stehenbleibt und sich nicht umdreht. Der spielt, bis der Ton verklingt. Ein Abschied in einem Bild. Groß und bescheiden. Traurig. Nicht rührselig. - Es war ein Gottesdienst, der mein Herz bewegte und lange noch bewegen wird.
Und wir Deutschen? Verpassen eine Chance, an den großen Reformer und tiefgläubigen Menschen Martin Luther zu erinnern und unterstellen ihm moralischen Botschaftseifer.
Wir maßen uns an, Luther zu kennen. Wir zeigen im Gottesdienst Filmszenen, als wüssten wir, wie es damals war. Wir vereinnahmen den Reformer für politische Zwecke, für unsere Ziele. Als habe Luther je leichtfertig Forderungen erhoben, die man eben leicht erheben kann, wenn man keine politische Verantwortung trägt. Als sei es ihm je um Wohlfeiles gegangen. Als habe er je den einfachen Weg gewählt. Als habe Luther mit der Politik gehadert und nicht mit seinem Glauben gerungen.
Wenn Luther den Gottesdienst zu seinen Ehren hätte gestalten können, wäre kein Wort gefallen über die Seenotrettung oder Flüchtlinge, so wichtig die Themen auch sind. Von allen Sätzen aus den Gottesdiensten des vergangenen Wochenendes hätte Luther vielleicht diesen Satz gewählt: Der Herr geleitet seinen Boten ans Ziel, und durch sein Wort besteht alles.
Luther ging es um Gott. Und er wusste vermutlich besser als viele andere, dass Gottesdienst heißt, Gott zu dienen. Und nicht uns.