Ich habe Gott gesehen
… und er war auf meiner Seite

Alle haben ihn gesehen. Profis und Laien. Protestanten und Katholiken. Gläubige und Ungläubige. Menschen, die den Tod kennen, und solche, die noch niemanden haben sterben sehen. Jeder hat Gott gesehen. Und hinterher haben alle gestritten. - Ich nicht.

Es ging um das Fernsehstück "Gott" von Ferdinand von Schirach, einer der besten Schriftsteller, die ich kenne, ein Jurist mit scharfem Verstand, das mag ich besonders, dargeboten von Schauspielern, die Ihresgleichen suchen. Grandios das Ganze wie schon das Buch. Das Thema war der assistierte Suizid. Ein gesunder Mann, Ende 70, will sterben, weil seine Frau nicht mehr lebt und er keinen Sinn in seinem Übrigbleiben sieht. Er sucht Hilfe - und findet sie nicht. Es folgt eine Anhörung, nicht vor Gericht, sondern vor dem Ethikrat.

Da war Streit programmiert. Drinnen wie draußen.

Auch ich habe Gott gesehen, mit all meiner Kenntnis als Juristin und all meiner Erfahrung mit dem Tod. Das muss ich vorausschicken. Denn ich bin nicht nur für den straflosen Suizid (was sich für Juristen von selbst versteht), sondern auch für die straflose Sterbehilfe, den assistierten Suizid.

Wie kannst du!? Du glaubst doch! Ich höre schon die Vorwürfe. Ja, ich glaube an Gott. Ich bin sogar katholisch geworden, weil ich so meinen Glauben besser leben kann. So sehr glaube ich an Gott.

Gott gibt das Leben, also darf auch nur Gott das Leben nehmen! Das Argument, das kenne ich auch.

Zunächst einmal glaube ich nicht an einen Gott, der es gutheißt, wenn wir uns anmaßen zu wissen, was richtig und falsch ist, wenn wir uns über andere erheben und sie moralisch verurteilen. Gott nimmt uns, wie wir sind. Mit unseren Stärken und unseren Schwächen. Gott urteilt nicht nach unseren Maßstäben. Gott urteilt überhaupt nicht über uns. Das tun nur Menschen.

Vor allem aber glaube ich nicht an einen strafenden Gott. An einen, der uns vernichtet. Denn wenn es stimmt, was Theologen sagen, dass nur Gott uns das Leben nehmen darf, hätte er vor zwölf Jahren den einen Bruder durch Krankheit getötet und den anderen vor einem Jahr durch ein Verbrechen. Das glaube ich nicht. Warum hätte er das tun sollen?

Ich glaube auch nicht an einen Gott, der am Ende unseres Lebens sagt: Du hast es geschafft, du hast Krisen überwunden und wieder Lebensmut gefasst, dich nehme ich an. Aber dich, der du es nicht geschafft hast, deinen Lebensmut verloren und den Tod gewählt hast, dich nehme ich nicht an. Dich lehne ich ab.

Ich glaube nicht an einen Gott, der die Starken bevorzugt, jenen, die Ausweglosigkeit nicht kennen, und die Schwachen verachtet, sie gar verstößt, jenen, die keinen Ausweg mehr wissen.

Ja, auch ich glaube an einen Gott, der uns das Leben schenkt. Aber ich bin verantwortlich für dieses Leben, nicht er. Ich kann zu ihm beten, ihn anflehen, ihn suchen oder verfluchen, ihn lieben oder vor die Tür setzen. Er ist immer da.

… auch wenn ich nicht mehr weiterweiß. … gerade, wenn ich am Ende bin. … vor allem wenn ich nicht mehr leben kann. Und nicht mehr hier sein will. Wenn der Tod nicht länger mein Feind ist, sondern mein Freund. Dann ist er da.

Ich habe Gott gesehen. Er ist auf meiner Seite.