Kürzlich war ich im Kloster, fünf Tage lang. Wenn ich könnte, würde ich sofort wieder hinfahren in die Erzabtei St. Ottilien.
Der Alltag war bestimmt vom Leben der Benediktinermönche. 5.40 Uhr Vigil und Laudes, 8 Uhr Messe, 12 Uhr Mittagshore, 18 Uhr Vesper. Dazwischen Kontemplation, Schweigen, Stille, schließlich am Abend noch einmal Kontemplation. Und immerzu fotografieren.
Gottes Spuren nachgehen, ergründen - in der Kirche, im Exerzitienhaus, im Freien. Im Himmel und auf Erden - zu jeder Zeit. In der Dunkelheit am frühen Morgen, in der es so still ist, dass der Tau in den Blättern laut ist wie dicke Regentropfen; später im Nebel über den schönen, weiten Feldern, bevor er das Geheimnis der Landschaft lüftet und die Sonne in den Tag hineinscheint.
Gott in allen Dingen suchen, Gottes Spuren sichtbar machen.
Sichtbar in einer Abtei, deren Namenspatronin blind zur Welt kam, durch die Taufe mit zwölf Jahren sehend wurde und ihr Leben fortan Gott weihte.
Doch nicht alles ist rosig in solch einer Zeit. Die Stille, das Schweigen, das Für-sich-sein, trotz Gruppe. Die Gedanken fangen an zu kreisen. Das Herz beginnt umherzuziehen, fort vom Kloster, hin zum Alltag, den man doch loswerden will. Zu den Sorgen und dem Kummer. Zu den Kämpfen und den Zweifeln. Zu dem Unglück im November und der unendlichen Trauer.
Genau da fällt ein Satz, den ich nicht mehr vergessen will, nie mehr. Er ist gut vierhundert Jahre alt und stammt von Franz von Sales: Wenn dein Herz wandert oder leidet, bring es behutsam an seinen Platz zurück und versetze es sanft in die Gegenwart Gottes. Wie einen heiligen Vers wiederhole ich diese Worte, mantraartig, wieder und wieder. Und ich werde ruhig. Und ich bleibe ruhig. Ruhig in der Stille. Ruhig beim Schweigen. Ruhig in Gottes Hand und Gegenwart. Ruhig und getröstet, obwohl die Sorgen, der Kummer nicht fort sind.
Die Tage vergehen. Nicht wie im Flug. Sie sind dauernde Gegenwart.
Und ich verstehe auf einmal, was Søren Kierkegaard einst schrieb: Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören. So ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören. Beten heißt still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.
Es waren diese Sätze, die unter unserem Programm standen, die ganze Zeit. So war es am Ende tatsächlich. Still werden, still sein und warten, bis Gott sich zeigt. Bis man ihn hört.
Fünf Tage war ich in St. Ottilien. Ja, ich würde ich sofort wieder hinfahren. Und nicht erst, wenn mein Herz wieder fortläuft.
Wenn es anfängt zu wandern.