Es wird Weihnachten, und man muss gucken, was man mit Oma macht. Sie liegt im Heim für demente Leute, und wenn der Pflegedienst aus dem Zimmer ist, wird sie an die Decke starren. Das geht schon fast ein Jahr so. Weihnachten wird nun das erste in diesem neuen Zustand sein. Kati wusste gar nicht, wie es um Oma steht. Mit allerlei Ausreden hatte Mama Katis Aufmerksamkeit immer von Oma weggelenkt. Mehr durch Zufall merkte Kati was, weil ihre Mutter sich versprach. „Ich geh noch zu Oma ins Pflegeheim“ - nun war es heraus. Kati ist noch klein, aber sie ist helle im Kopf, sie kapiert das Aufregende an diesem Versprecher. 'Wieso Oma Heim?' fragt sie. „Ach nix,“ sagt Mama. „Aber du hast es gesagt!“
Kati wird also zum ersten Mal Heiligabend ins Heim zu Oma mitkommen. Sie hat es sich ertrotzt. Mama hat ein schlechtes Gewissen, weil sie merkt, was sie Kati vorenthält. Aber ihre Mutter liegt fast den ganzen Tag im Bett, ihr Gesicht gleicht dem einer Hexe, sie schimpft viel und bringt alles durcheinander. Das muss die Kleine nicht mitkriegen – dachte sie. Aber als sie merkt, wie entschieden Kati nachbohrt, gibt sie nach. „Oma ist ein bisschen verrückt,“ warnt sie auf dem Weg. „Sie sabbert und erkennt mich oft nicht. Und sie sieht auch nicht schön aus, bisschen wie eine Hexe.“ Kati ist still und hört aufmerksam hin, ihr Blick ist klar und entschlossen.
Mama stellt sich so ans Bett, dass Kati nicht gleich alles sieht. Aber sie ist flink, läuft ums Bett herum schiebt umständlich einen Stuhl an die Seite der alten Mumie, klettert darauf und betrachtet ohne den Anflug eines Schreckens die hexenhafte Maske. Die Alte öffnet die Augen, blickt die Tochter an, dann die Kleine, noch mal her und hin und grunzt. Schließt die Augen, öffnet sie gleich wieder und starrt Kati an. Keine von beiden will sprechen, Katis Hand reibt auf der Decke hin und her. Sie blicken sich unverwandt ins Innere, und nur der Wellensittich in der Ecke merkt, wie lange sie einander schon kennen.
„Ich koch mal einen Tee,“ sagt Mama und zündet eine mitgebrachte Kerze an. Kati steht immer noch auf dem Stuhl. „Willst Du Schokopudding, Kati?“ fragt sie, „ich hab welchen mitgenommen.“ „Ja.“ Kein Seitenblick, nur Oma angucken. Die öffnet wieder die Augen, schaut und zwinkert. Kati macht es nach. Die Faltenmaske verzieht sich. „Oma, kannst Du auch reden?“. Oma reagiert nicht. „Oma!“. Oma zuckt. Der Pudding wird hereingetragen. Kati sitzt jetzt auf Omas Bett und sieht sich satt. Mama verkneift sich die Anweisungen, die ihr in den Sinn schießen. Sie ist verwundert über die Stimmung im Zimmer. Als wäre es nie anders gewesen, dass Kati und Oma zusammen sind.
Kati löffelt Pudding. Kati schaut Oma an. Kati löffelt. Als Mama draußen ist, fragt sie was: „Oma, willst Du auch Pudding?“ Oma guckt. Kati robbt ans Kopfende, kniet neben Omas Ohr, stützt eine Hand auf und führt mit der anderen den Löffel mit Pudding an Omas Mund. Sie öffnet ihn sofort und schluckt. „Hmmm“ macht Kati und schiebt den nächsten Löffel nach. Oma schluckt. Ihre Hände tasten auf der Bettdecke umher, die Rechte erreicht die Puddingschüssel, greift hinein und wühlt. Und eh Kati begreift, hat Oma den Pudding zum Gesicht geführt. Kati tut nichts. „Hmmm“ sagt sie. „Hmmm“ sagt auch Oma und verteilt Pudding über ihr Gesicht. Dann winkt sie der Kleinen, sie soll näher kommen. Als sie in Griffnähe ist, verstreicht sie ihr den Pudding auch übers Gesicht. Kati kichert. Es kitzelt. Es tropft. Sie greift in die Schüssel, holt mehr warmen Pudding heraus und legt ihn auf Omas Stirn. Oma verzieht das Gesicht zu einem Grinsen. Mit dem Löffel füllt sie Omas Mund, die schluckt ohne zu husten, und es kommen glucksende Laute aus ihr, sie lacht offenbar. Kati lacht auch. Oma hat jetzt die Augen weit offen und leckt sich die Lippen. Kati desgleichen. So schauen sie einander an und ahmen wechselweise Grimassen nach. Und die Bettdecke wippt immer mehr über dem stillen Gelächter. Kati quietscht vor Vergnügen.
Nun kommt Mama. Sie hat gehört, dass was passiert ist. Sie steht im Türrahmen, kriegt den Mund nicht zu und alles, was eine erziehungsbewußte Mutter sagen müsste, ist sehr unwichtig. Sie weint ohne alle Hemmung los. Sie greift in die Schüssel, stopft sich Pudding in den Mund, Kati lädt nach, schiebt ihr auch gleich die ganze Hand hinein, Oma gluckst, alles voll Schoko - die Welt versinkt im Wohllaut.
Sie legen sich beide zu Oma mitten in die Soße, eine zur Linken eine zur Rechten. Mama weint immer noch und es ist gut. Kati streichelt abwechselnd Mama und Oma. So liegen sie da am Heiligen Nachmittag in unziemlicher Gebärde - selig verdreckt. Und die Engel singen - ja, was? - Na, was sie immer singen: ‚Fürchtet euch nicht’.