Ich weiß nicht, ob‘s an der Jahreszeit liegt oder Zufall ist. In diesem Sommer begegnete mir ständig der Tod. Begräbnisse, Jahrestage. Wie schnell die Zeit vergeht ...
Der Tod lässt niemanden kalt. Die Alten nicht. Und die Jungen schon gar nicht.
Im Juli veröffentlichte die FAZ eine ganze Seite über Jugendbücher zu dem Thema. Sie befassen sich mit der Welt zwischen Leben und Tod. Als wollten die Autoren, stellvertretend für die Jugendlichen, dem Unausweichlichen entgehen. Ihre Botschaft lautet: Wer das Jenseits kennt, wirft sich umso mehr ins Diesseits. Es sind Bücher, die aufs Leben zielen. Und sie verkaufen sich gut.
Kürzlich las ich zwei Bücher, ich konnte es kaum abwarten, weil ich die Autoren so mag. Das eine ist „Koala“ des Büchner-Preisträgers Lukas Bärfuss. Das andere heißt „Maschinen wie ich“ und ist von Ian McEwan. Auch bei ihnen geht es um den Tod, ums Leben und den Tod, das Dazwischen, das Überlisten und Besiegen. Nur dass sich das erst beim Lesen erschließt. Es sind Bestseller. Natürlich.
Anfang September wäre der Journalist Frank Schirrmacher 60 Jahre alt geworden. Auch das prägte meinen Sommer, denn ich schaute mir zum ersten Mal seinen Grabstein an - mit dieser Inschrift: „Die Überzeugung unserer Fortdauer entspringt mir aus dem Begriff der Tätigkeit; wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht ferner auszuhalten vermag.“ - Ich musste dreimal lesen, bevor ich’s begriff. Es ist ein Goethe-Zitat. Das steht da nicht.
Wenn ich tot bin, soll Heiter-Himmlisches auf meinem Grabstein stehen. Und nicht so ein Zitat über eine angebliche Pflicht der Natur uns gegenüber. Selbst wenn's von Goethe ist.
Auch mein Begräbnis soll im Wortsinn himmlisch sein. Noch so eine Erkenntnis des Sommers, nachdem ich bei zwei Beerdigungen war, einer evangelischen und einer katholischen. Was für ein Unterschied!
Bei der evangelischen ging's um die Vergangenheit. Der Pfarrer erzählte von der Toten. Und wir weinten und lachten. Wir sangen sehr protestantisch. Und ich dachte ans Gestern.
Wir sagten Psalm 39 im Wechsel auf, als ginge nur um uns:
„HERR, lehre doch mich, / dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss. // Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Ach, wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! // Höre mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Tränen.“
Und es gruselte mich.
Bei der katholischen Beerdigung dagegen ging's um die Zukunft. Der Priester sprach über die Erscheinung Jesu vor Maria von Magdala; seine Predigt deutete auf Ostern hin. Und wir staunten. Wir beteten für die Mutter der Freunde. Und ich dachte ans Jetzt und an Morgen. Und an den Himmel.
Wie schön die Predigt war! - Da Maria draußen vor dem Grabe Jesu steht und weint. Und die Engel sie fragen: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Und Maria ihnen antwortet: „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.“ Und sich umwendet, als sie das gesagt hat, und Jesus dastehen sieht und … ihn nicht erkennt! Und Jesus, der sie auf einmal bei ihrem Namen ruft: „Maria!“ Und sie, die nun weiß, dass er es ist, und bloß sagt: „Rabbuni“. Das heißt Meister.
Was für eine Liebesgeschichte!
Maria versinkt nicht in ihrer Trauer, sie wendet sich um. Mitten in ihrer Verzweiflung, ihrer Ratlosigkeit. Und sieht ihn …
Das ist es doch. Die Blickrichtung ändern. Gerade, wenn jemand stirbt.
Wenn ich tot bin, will ich katholisch beerdigt werden. Das weiß ich jetzt. Es genügt mir nicht, dass nach reformatorischem Verständnis der Mensch sowieso bei Gott ist und es darum nicht notwendig ist, für die Toten zu beten.
Ich will auch nicht, dass die Leute nach hinten schauen müssen. Sie sollen nach vorne blicken können. Es soll Weihwasser geben. Und Rituale. Ich will gut in Gottes Ewigkeit ankommen.
Es soll Ostern sein!
Egal zu welcher Jahreszeit.