Kürzlich erkundete ich meinen neuen Stadtteil und fand mich in einem sog. ‚Künstlergespräch‘ in einer kleinen Galerie. Da wohnt auch eine Geschichtswerkstatt, standhafte Frauen und Männer sorgen für Erinnerung.
An den Wänden Bilder zu einem Thema, selbstgefertigt, gemalt, fotografiert, gedruckt.
Im Kreis 25 Männer und Frauen zwischen 45 und 75, die man auch in anderen Foren findet, bei Demos, im Kunst-Frühschoppen, bei Ausstellungen.
Offenbar soll es einen Austausch geben über die Werke. Einander kennenlernen. Etwas Wein steht in der Mitte, Wasser auch. Stühle rumpeln. Der Galeriegründer hebt zu einer Einführung an, wie es gekommen sei und was entstanden ist und was man sich gedacht hat. Leise Unruhe. Dann eine Vorstellung der Leute und Werke: „Können Sie bitte lauter reden?“. Alle Anwesenden ergehen sich über Herkünfte, Assoziationen und Hintergründe - in wilder Folge. Im Lauf der Zeit verbraucht sich der kostbare Stoff Aufmerksamkeit, die zweite Hälfte der Runde geht im Scharren der Hufe unter, man mimt höfliche Anteilnahme, ist aber genervt. So verplempert sich der Abend. Man geht seiner Wege.
Ich erzähle dies, weil ich immer wieder feststelle, wie unbeholfen Menschen im öffentlichen Raum agieren. Selbst solche, die mit Menschen arbeiten oder Auftritte gewöhnt sind. Ich frage mich, wie sich Gemeinsinn entwickeln soll, wenn schon so einfache Treffen misslingen. Die Kreativen des Stadtteilabends sind mehrheitlich wache Leute, sie wollen etwas, sie möchten sich zeigen und sehen, was andere tun. Aber in der fremden Gruppe sitzen sie wie die Erstklässler und warten auf den Lehrer.
Ich frage mich: Wo lernt man eigentlich, wie man sich in Gruppen verhält? Wie man Verantwortung übernimmt für das Gelingen eines Projekts. Wie man eine kleine Gruppe von Leuten moderiert, damit sie zu Pott kommt oder einen Familien-Streit. Diese Fähigkeiten werden wichtiger werden. Denn der Staat, die Gewerkschaft, die Kirche, der Markt, die Parteien, die Gerichte werden uns nicht mehr verwalten und Regelungen abnehmen. Wir selber nehmen ihnen nicht mehr ab uns gültig zu repräsentieren. Daher verlieren sie an Einfluss. Bald muss man in der Nachbarschaft und der Kommune selber handeln.
Die Volkskirche hat noch funktionierende Strukturen, z.B. die Gemeinden. Auch da gilt noch weitgehend das Versorgungs-Prinzip. Man kommt dahin um irgendwie betreut zu werden. Das wird auch weiter gebraucht. Aber das kann zum Schnuller für die Leute werden: sie wollen dann an der Kirche nuckeln. Und die Kirche kann sich darin sonnen, dass sie Mäuler stopft.
Aber ich träume von einer Kirche, die in ihren Gemeinden auch übt, wie man einen Krach unter Nachbarn moderiert. Wie man eine Initiative zur Säuberung des Baches startet und durchführt. Wie man ein Bürgerbegehren organisiert. Wie man Kinder wieder was Körperliches erleben lässt. Wie man einen Brief an Abgeordnete schreibt. Wie man stilvoll ein Fest feiert. Wie man eine Künstlerrunde im Stadtteil so moderiert, dass die sich echt begegnen, statt wie Lautsprecher irgendetwas in den Raum zu tröten.
Sie müsste die Aktionen nicht selber ausführen, aber sie würde Leuten in Schulungen zeigen, wie das geht. Dabei lernt sie selber auf ihre kommunale Umgebung zu achten, findet Themen und Kommunikations-Formen sowie Leute, die sowas können. Wer das öfter bucht, bekommt am Ende ein ‚Bürger-Diplom‘. Andere als die Stammgäste würden kommen. Man würde vermuten, dass die Kirche es ehrlich meint ohne Neben-Absichten. Das ist der Kredit, den sie immer noch hat, auch bei Unkirchlichen. Sie versteht was von Menschen und ihren Sehnsüchten, vom Scheitern, vom Feiern, vom Tod und von der Liebe zu Menschen und Sachen. Sie hat einen unbestechlichen Horizont im Kreuz. Damit kann sie punkten. Und sie würde endlich rauskommen aus diesem betulichen Betreuungswinkel.