Neulich, beim Kirchentag in Dortmund, habe ich zum ersten Mal bei einem Bibliolog mitgemacht. Das ist eine Mischung aus Bibel und Dialog und geht ungefähr so:
Mehrere Leute befassen sich mit derselben Bibelstelle. Jemand liest den Text vor und unterbricht ihn hin und wieder. Wer will, kann sich nun in eine der biblischen Gestalten hineinversetzen und als diese Gestalt Gedanken und Ahnungen äußern. Und auf einmal merkt man, wie viel die Sache mit einem selbst zu tun haben kann - und niemand bekommt es mit. Zum Glück!
In Dortmund ging es um Abraham, der Isaak opfern sollte. Starker Tobak. Denn Abraham opfert seinen geliebten Sohn tatsächlich! - fast ...
Und so waren sich die Teilnehmer*innen rasch einig, der Abraham, der ist ein Schuft. Der handelt egoistisch. Der will wirklich seinen Sohn töten!
Beinahe alle waren sich einig.
Mir ging es anders.
Mir ging es nicht um das „Opfer“ Abrahams, seine „Versuchung“ oder die „Erprobung“. Als ich mich in ihn hineinversetzte, dachte ich vielmehr an seine Vorgeschichte:
Als Gott Abraham im hohen Alter auffordert, mit seiner Frau wegzugehen aus dem Land, das ihnen vertraut war, fort in ein neues, fremdes Land, fügte er sich.
Wer weiß, womöglich fühlte er sich nicht mehr wohl in seiner Heimat; war er unruhig geworden. Und gehorchte, um ein neues Zuhause zu finden. Ein Zuhause, das ihn wieder ruhig werden ließe. Ein Leben, das er wieder leben konnte. Ein Leben bei Gott. Ein Leben mit Gott.
Vielleicht erinnerte er sich des Wortes, das zu ihm „in einer Erscheinung“ gekommen war: „Fürchte dich nicht, Abraham! Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn.“ Und besann sich des Bundes, den Gott mit ihm geschlossen hatte, weil er „dem Herrn“ geglaubt hatte. An die unauslöschliche Verbindung zwischen Gott und ihm, den Glaubensbund. Er kannte die Zusage Gottes ja schon: „Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn.“
Und so sagte sich Abraham womöglich: „Zwar spricht alles dagegen, dass ich weggehe: das Alter, die Umstände, die Vernunft, die Menschen. Denn was werden sie sagen, wenn ich mich aufmache, um fortzugehen? Keiner verstünde das. Verwunderte Blicke träfen mich. Hohn und Spott würden sie über mir ausgießen! Ich aber will nicht ihnen folgen, sondern dir, Gott. Denn du bist es, der zu mir spricht, du allein, der mich kennt und ruft - zu dir! Ich will keine Rechenschaft ablegen vor den anderen und auch nicht mit ihnen streiten. Denn sie wissen nichts von mir. Sie denken bloß daran, was sie für richtig halten, was sich nach ihrer Meinung gehört. Und nicht an das, was du mit mir vorhast, was nach deinem Ratschluss das Richtige ist. Ich aber glaube nicht jenen, sondern allein dir. Nur dir vertraue ich mich an. Nur dir traue ich, nur an dich glaube ich. Auf dich also will ich hören.“
Und so macht er sich auf in das unbekannte Land.
Und Gott segnet ihn.
Segnet Abraham, der ihm vertraut hatte. Der sich auf ein neues, ein ungewisses, ein Gott befohlenes Glaubens-Leben eingelassen hatte. Der in die Fremde gezogen war. Und am Ende sogar bereit war, seinen Sohn zu opfern.
Das war meine Deutung beim Bibliolog in Dortmund.
Und noch während ich mich in Abraham hineinversetzte und vor den anderen aussprach, was er wohl gedacht und gesagt hatte, fiel mir auf, wie viel das mit mir zu tun hat; mit meinem Glauben. Und meinem Leben.
Und dem Weg, auf dem ich bin …