Ich mochte dies Gesicht sofort. Es wurde vorzeiten an die Wand eines buddhistischen Tempels in Sri Lanka gemalt. Ich mag den Blick dieser Frau - vielleicht ist es auch ein Mann. Egal.
Ich lese darin eine neuzeitlich-religiöse Haltung. Der Körper ist nicht dem Gegenstand des Interesses zugewandt. Nur der Kopf dreht sich. Halbe Berührung.
Was zu sehen ist scheint oben zu sein, nicht ganz oben wie die Sonne, aber so halb - jedenfalls höher als die Figur selbst. Denn Höheres anzuschauen hebt auch die Betrachter.
Der Blick folgt dem Gegenstand leicht und ohne Anstrengung. Man verrenkt sich nicht wie manche ekstatischen Heiligen auf Barock-Bildern in europäischen Kirchen. Man schaut berührt, aber abwartend. Was kommt mir von da oben? Ist es eine ganze Drehung wert?
Der Mund gewogen, aber auch eine Spur ironisch. Die Augen offen, bewegt und zugleich entgegen-wartend. Eine andere Gegenwart.
Ich glaube, so nähern sich im Moment viele Menschen dem Religiösen. Sie sind deutlich weniger ‚gottesvergiftet‘ als frühere Generationen. Die mussten viel moralischen Ballast zusammen mit christlichen Prägungen wegwerfen, bevor sie sich überhaupt für religiöse Formen neu öffnen konnten. Wer sich heute interessiert, kommt oft ohne Gepäck. „Ja, ok, hast du was für mich? - Dann komme ich ein paar Schritte näher - unter Vorbehalt.“ Leute sind erstaunlich offen, wenn etwas einleuchtet, aber sie lassen sich nicht einfach eingemeinden. Schon gar nicht von den großen Systemen wie der Kirche, die behaupten, sie würden die ganze Welt abbilden.
Sie scheinen für mich unterhalb aller Skepsis trotzdem hingabebereit. D.h. bereit sich einer Idee zu verschreiben, die wirklich ihren und den Nerv vieler trifft. Fridays for future z.B.. Eine Weile eingehen und aufgehen in etwas Großem. Leise bewundern, was sich so zeigt, dass man Gänsehaut kriegt. Angefasst sein von einem Gesicht, das ehrlich ist. So wie ich von diesem Gesicht. Es verstellt sich nicht, es bleibt in der Halbdistanz, steht aber schon im Vorhof des Heiligen.
Ich mag dies zarte Inter-Esse, dies Dazwischen-Sein zwischen ‚schon‘ und ‚noch nicht‘. Es atmet den Zauber des Anfangs. Es gedeiht, wenn jemand kommt und sich daneben stellt und auch so guckt. Viele religiöse Leute sind sich so scheinbar ‚sicher‘. Sie möchten diesen Blick in die gute Stube des Christlichen herüberziehen. Da wo alle Möbel am richtigen Ort stehen und der Hirsch über dem Sofa röhrt. Damit die Figur nickt und Jesus gut findet.
Ich stelle mich lieber daneben und versuche zu erinnern, wie ich dazu kam. Wie vorsichtig ich mich einst angenähert habe an die Schein-Gewissheiten der anderen, die seltsamen Kerzen-Massen im Altarraum, die Goldkelche und die verrenkten Heiligen samt dem da am Kreuz.