Abschied von "Sea-Watch 4": 354 Gerettete nun auf Quarantäneschiff
Ausschiffung von der "Sea-Watch4" auf ein Quarantäneschiff
©epd-bild/Thomas Lohnes
Die mehr als 350 Geretteten steigen am Nachmittag von der "Sea-Watch4" auf ein Quarantäneschiff um, das die italienischen Behörden bereitgestellt haben.
Die erste Mission der "Sea-Watch 4" ist erfolgreich zu Ende gegangen. Die in den vergangenen Wochen insgesamt 354 Geretteten wurden von den italienischen Behörden heute (Mittwoch) auf das Quarantäne-Schiff "Allegra" gebracht. Die Journalistin und Pfarrerin Constanze Broelemann, die für evangelisch.de an Bord ist, hat alles genau miterlebt und schreibt - schon mit Wehmut - in ihrem Blog:

Dieser Text ist bereits am 2. September 2020 erschienen.

Der letzte Akt ging heute über die Bühne. Von 13.30 Uhr bis kurz nach 17 Uhr dauerte die Ausschiffung der 354 Geretteten auf die riesige italienische Fähre "Allegra" vier Seemeilen von dem Hafen von Palermo entfernt.

Noch einmal bündelte die Crew der "Sea-Watch 4" alle ihre Kräfte, um einen geordneten Ablauf von einem Schiff auf das andere zu gewährleisten. Gegen Mittag besuchte uns ein Schiff der italienischen "Guardia Costiera" und leitete die Ausschiffung ein. Die "Sea-Watch 4" wurde so nahe an die riesige Fähre "Allegra" gefahren werden, dass eine Gangway von einem auf das andere Schiff gelegt werden konnte. Ein nicht einfaches und langwieriges Manöver. Die Migrant*innen mussten noch einige Stunden Geduld aufbringen, bis alle Papiere von den italienischen Behörden registriert waren. Die Crew der "Sea-Watch 4" begleitete diesen Prozess in voller Covid-19-Schutz-Kleidung, was in der brütenden Hitze am Mittag nur sehr schwer auszuhalten war.

Die "Sea-Watch 4" auf ihrem Weg in den Hafen von Palermo.

Wehmut war bei uns von der Crew definitiv dabei und viel Gefühl, das wir untereinander aufbauen konnten. "Bonne chance", "Good luck", "merci". Wir schickten uns Herzchen zu und winkten zum Abschied. Mit einigen hoffe ich, Kontakt halten zu können. Was wohl aus ihnen wird? Haben sie eine Chance in Europa? Cisse von der Elfenbeinküste? Aimen aus Tripolis? Christian aus Kamerun und all die anderen?

Constanze Broelemann feiert am Abend vor der Ausschiffung von Bord mit den ausgelassenen Flüchtlingen.

Meine Sicht auf Afrika hat sich völlig verändert. Ich bin diesem großen, reichen Kontinent viel näher gekommen. Aber das Leid, was diesen Menschen zugefügt wurde, das muss ich erst verarbeiten. Diese Gewalt, diese Ungerechtigkeit. Ich bin froh, hinaus gegangen zu sein. Ich würde es immer wieder tun.

Die zivile Seenotrettung ist umstritten. Aber ich habe gesehen, wie Leben gerettet werden. Wie konkret 354 Menschen überlebt haben. Es ist keinesfalls sicher, dass sie das ohne den Einsatz der "Sea-Watch 4" geschafft hätten. Das sind alles Menschen, die sich da in Gummiboote setzen. Menschen, die Entsetzliches hinter sich haben. Noch heute Morgen hat mir Aimen aus Libyen erzählt, dass er in Tripolis nicht einmal auf die Straße gegangen sei, aus Angst erschossen zu werden. Sein kleiner Bruder wurde gekidnappt, weil er sich über die Regierung beschwert hatte. "In Libyen kann man nicht Leben", sagt Aimen. Wenn er in die Bank geht, gibt es kein Geld. "Wir leben von Tag zu Tag."

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Jetzt heißt es für uns an Bord der "Sea-Watch 4" erstmal: Sortieren, mit der Leere, die die Migrant*innen hinterlassen haben, zurechtkommen. Wenn wir jetzt auf die Decks gehen, ist da niemand mehr. Keine Gespräche, keine Essensverteilung, kein Abwasch, keine Nachtwachen, kein kleiner, süßer Ali. Wir haben das Schiff wieder für uns. Aber für mich und - ich glaube für uns alle - haben diese Menschen eine Menge Gefühl in unsere Leben gebracht. Gefühl, dass in unserer Gesellschaft oft fehlt. Ich bin froh und dankbar über das, was ich erleben konnte. Und ich weiß nun noch mehr, dass mir enge Horizonte und Menschen mit einem solchen nicht liegen. 

Die Migrant*innen müssen jetzt für zwei Wochen auf die "Allegra" in Quarantäne. Das Rote Kreuz ist an Bord und wird medizinisch für die Menschen sorgen. Auch andere Hilfsorganisationen an Land werden parat sein. Dennoch: Es wird für sie nicht einfach werden. Auch wir von der Crew der "Sea-Watch 4" werden nun vor Palermo vor Anker liegen, bis wir die Quarantäne und den Covid-19-Test absolviert haben. Das Schiff muss jetzt geputzt werden. Ich denke, wir können stolz sein auf das, was wir getan haben. Bestimmt wären Menschen ohne den Einsatz der "Sea-Watch 4" ertrunken. Die erste Mission des Bündnisschiffes war sehr intensiv und erfolgreich.