Ready to rescue
fast gekentertes grünes Schlauchboot
©epd-bild/Thomas Lohnes
Auf der Suche nach dem vom "Alarmphone" gemeldeten blauen Holzboot mit etwa 70 Passagieren entdeckte die Crew die Überreste eines grünen Schlauchbootes. Von den Menschen, die darauf vermutlich versucht hatten nach Europa zu gelangen, fehlt jede Spur.
Das von der Evangelischen Kirche initiierte Seenotrettungsschiff "Sea-Watch 4" hat sein Einsatzgebiet im Mittelmeer erreicht. Bereits auf dem Weg in die Suchzone vor Libyen wurde die Crew über einen Notruf informiert, berichtet Journalistin Constanze Broelemann, die für evangelisch.de an Bord des Rettungsschiffs ist.

Auf dem Weg in ihr Einsatzgebiet vor der libyschen Küste wurde die Crew der "Sea-Watch 4" vom "Watch the Med Alarmphone", einer nicht-staatlichen Notfallhotline für Flüchtende und Migrant*innen, über einen Seenotfall in der Nähe der italienischen Insel Lampedusa alarmiert. Auf der Suche nach dem vom "Alarmphone" gemeldeten blauen Holzboot mit etwa 70 Passagieren entdeckten die auf der Brücke Ausschau haltenden Besatzungsmitglieder der "Sea-Watch 4" und das Team von "Ärzte ohne Grenzen" die Überreste eines grünen Schlauchbootes. Von den Menschen, die darauf vermutlich versucht hatten nach Europa zu gelangen, fehlt allerdings jede Spur.

Kurz nachdem die "Sea-Watch 4" offiziell "ready to rescue" war, erreichte die Crew in den Morgenstunden ein Notruf über das "Alarmphone": Ein Seenotfall vor der Insel Lampedusas wurde gemeldet. Während die Crew auf der Brücke mittels nautischen Ferngläsern Ausschau nach Seenotfällen hielt, entdeckten sie ein verlassenes, grünes Schlauchboot auf dem Meer. Erfahrene Crew-Mitglieder der "Sea-Watch 4" erkannten schon Meilen im Voraus, dass ein ungewöhnliches Objekt auf dem Mittelmeer vor Lampedusa trieb.

Auf dem Weg in ihr Einsatzgebiet vor der libyschen Küste entdeckte die Crew der "Sea-Watch 4" ein verlassenes Schlauchboot.

Auch ich war zu diesem Zeitpunkt gegen 6:30 Uhr auf der Brücke zu meiner ersten Wachsicht. Nachdem mehrere meiner Crew-Kollegen von unterschiedlichen Positionen aus das Objekt auf dem Meer gesichtet hatten, änderte die "Sea-Watch 4" ihren Kurs und näherte sich dem Objekt. Die Anspannung war groß, denn wir wussten nicht, was uns erwarten würde. Im schlimmsten Fall trieben Leichen im Wasser. Die Schnellboote, deren Einsatz wir noch gestern geprobt hatten, standen bereit. 

Halb zerstörtes, leeres Gummiboot

Doch als wir direkt neben dem Gummiboot waren, erkannten wir, dass es halb zerstört, ohne Motor und menschenleer war, aber mit zwei Rettungswesten an Bord, die auf dem Wasser trieben. Nachdem die Crew der "Sea-Watch 4" informiert wurde, dass am Vormittag mehrere Boote auf Lampedusa angekommen sind, von denen eines auf die Beschreibung des gesuchten, blauen Holzbootes passte, stellte die "Sea-Watch 4" ihre Suche ein und nahm erneut Kurs nach Süden auf – in Richtung des ursprünglichen Einsatzgebiets.

Letztgenanntes ist die SAR-Zone vor Libyen. Dieser Such- und Rettungsstreifen erstreckt sich etwa 135 nautische Meilen (250 km) von Osten nach Westen und etwas 24-60 nautische Meilen nördlich der lybischen Küste in internationalen Gewässern. Die SAR-Zone ist in einen westlichen und östlichen Teil gegliedert, wobei wir mit der "Sea-Watch 4" Kurs auf die westliche oder SAR 1 nehmen. Das Suchgebiet erstreckt sich von der libysch-tunesischen Grenze bis nach Tripolis.

"Alarmphone" organisiert Rettungen

Das "Alarmphone", über das die Crew der "Sea-Watch 4" von dem Seenotfall erfuhr, ist ein Projekt, das 2014 von europäischen und nordafrikanischen Aktivist*innen ins Leben gerufen wurde. Menschen in Seenot können via Satellitentelefon die Nummer des "Alarmphones" wählen, die Ehrenamtlichen versuchen dann, für diese Rettungen zu organisieren. Sowohl Schiffe der jeweiligen Küstenwachen als auch NGO-Schiffe wie die "Sea-Watch 4" werden so von Seenotfällen informiert.

Die Nummer des "Alarmphones" wird größtenteils in direktem Kontakt mit den geflüchteten Communties in wichtigen Transitländern Nordafrikas und in der Türkei verteilt. Das Projekt ist in allen drei Regionen, in denen Menschen versuchen, die Seegrenzen der EU zu überwinden, aktiv: In der Ägäis zwischen der Türkei und Griechenland, im zentralen Mittelmeer zwischen Libyen/Tunesien und Italien sowie im westlichen Mittelmeer zwischen Marokko und Spanien.

Wachschichten auf der Brücke werden von allen Crew-Mitgliedern gehalten.

Die Initiative ging aus dem „Watch The Med“-Projekt hervor, das die Aktivisten Lorenzo Pezzani und Charles Heller von „Forensic Oceanography“ 2012 gegründet hatten, um Fluchtgeschichten und Unglücke im Mittelmeer zu dokumentieren. Auf Basis der gesammelten Erfahrungen und inspiriert von der Initiative des römisch-katholischen Priesters Mussie Zerai aus Eritrea, der ein eigenes Hilfstelefon für Migranten auf dem Weg nach Europa eingerichtet hatte, wurde die Initiative mit Hilfe von Spenden offiziell am 8. Oktober 2014 gestartet. Der Termin wurde auf den Jahrestag des Unglücks vom Jahr 2013 festgelegt, bei dem über 260 Syrer vor Lampedusa ertranken, nachdem die italienische und maltesische Küstenwache die Verantwortung tagelang hin und her geschoben hatten.

Die "Alarmphone"-Initiative begründet ihre Arbeit damit, dass die Küstenwachen in der Vergangenheit immer wieder Notrufe ignoriert haben sollen und die zwischenstaatlichen Kooperationen wie Frontex keine Seenotrettung praktizierten, sondern militärische Abwehraktionen durchführten.