Bald wird wieder viel über den Rundfunkbeitrag gestritten werden, obwohl Diskussionen über den öffentlich-rechtlichen Auftrag wichtiger wären: Das war Tenor der Medienkolumne vor einer Woche. Tatsächlich laufen viele Diskussionen rund um den Auftrag – leider eher in Nischen, obwohl doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk "alleine der Allgemeinheit" gehört (wie es in dieser Selbstdarstellung der ARD heißt). Um drei dieser Stränge soll es hier nun gehen. Der erste kreist um Flexibilisierung des Auftrags.
Schließlich ist der öffentlich-rechtliche Medienkomplex viel größer als die Fernseh-Aufreger, auf die er in (oft polemisch mindestens angehauchten) Debatten reduziert gerne wird. Da sei "schon wieder zu viel von TV, Krimis, Fußball, Netz die Rede" gewesen, "ÖR ist in viel größerem Umfang Radio und damit erfolgreich", lautete eine Twitter-Reaktion auf die vorige Kolumne.
Erstens: flexibler zeigen, was es gibt
Fußball und Krimis ziehen eben durch hohe Zahlen in Euros (weil Übertragungsrechte und Produktion viel kosten) und Millionen Zuschauern, die sie oft erreichen, viel Aufmerksamkeit auf sich. Auch die ausgiebige Übertragung der Frauen-Fußball-WM war in dieser Hinsicht ein Erfolg, und Fragen, ob andere Sportarten und Fernsehgenres, wenn sie bloß regelmäßiger und prominenter liefen, nicht auch mehr gesehen würden, sind müßig. "Leider werden in der (medialen) Öffentlichkeit so gut wie immer nur die beiden Fernsehhauptprogramme Das Erste und das ZDF bewertet, aber nie das Gesamtangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", zu dem über 60 Radioprogramme allein der ARD sowie Orchester und Chöre gehören, beklagt die ARD mit Recht.
Das hat natürlich ein bisschen damit zu tun, welche Inhalte wie, wo und wann präsentiert werden. Vieles aus unterschiedlichen Blickwinkeln Gutes geht in den verwechselbaren linearen Programmen unter. Was ein abklingendes Phänomen sein dürfte: Um Inhalte so zu präsentieren, dass jeder in der Fülle des Angebots findet, was ihn oder sie individuell interessiert, ist das Internet der ideale Ort. Bislang haben die Internetangebote und erst recht die Sender des öffentlich-rechtlicher Rundfunks in langen Beauftragungs-Vorgängen starr festgelegte Profile und Budgets. Neue Angebote, die ja keine linearen Fernsehsender sein müssen (und, so wie die Medien-Entwicklung läuft: kaum noch sein werden), könnten kenntlicher machen, was öffentlich-rechtlicher Rundfunk alles leistet. "Wer von ARD und ZDF mehr digitale Innovation fordert, muss ihnen auch die Möglichkeit geben, Geld von linearen in neue Online-Angebote umzuschichten", bloggte das ZDF-Fernsehratsmitglied Leonhard Dobusch.
Flexibilisierung dürfte dabei helfen, auch wenn sich viele Fragen anschlössen, vor allem die nach der (wichtigen) Rolle des "Rundfunkrechnungshofes" KEF. Und selbstverständlich wäre jede einzelne Umschichtung umstritten. Nur z.B. hatte der Bayerische Rundfunk lange geplant, seinen Klassiksender aus dem UKW-Radio ins wenig genutzte Digitalradio zu verlagern, um Platz für ein junges Jugendradio zu schaffen – was ich für ein verheerendes Zeichen insbesondere für den Kultur-Auftrag gehalten hätte.
Zweitens: Unterhaltung?
Genau genommen, "haben die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen", heißt es im Rundfunkstaatsvertrag. "Eine Beschränkung oder Reduzierung dieses Programmauftrags oder eine Fokussierung nur auf Bildung und Information ist verfassungsrechtlich unzulässig", fügt die ARD hinzu. Wozu es allerdings andere Ansichten gibt: "dass die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen eine recht konkrete Festschreibung des Auftrages" durch die Politik ermöglichten, steht in einem von der CDU Sachsen beauftragten Gutachten des Juristen Hubertus Gersdorf. "Der Bereich Unterhaltung (einschließlich Sport) soll weiterhin zum Angebotsauftrag gehören, aber nicht den Schwerpunkt bilden", lautet ein Formulierungsvorschlag (S. 8 im 107-seitigen Gutachten/ PDF).
Mehr Information, weniger Unterhaltung – das ist der Kurs, den die schweizerische SRG fährt, seitdem sie auch dadurch 2018 die existenzielle Gefahr der "No Billag"-Volksabstimmung mit überraschend gutem Ergebnis überstand. Um die Akzeptanz der Öffentlich-Rechtlichen zu erhöhen, könnte so eine Auftrags-Präzisierung helfen. Danach gäbe es natürlich weiteren Streit, schon weil in den Medien alles verschwimmt. Informative und unterhaltende Anteile lassen sich nirgends trennen. Auch Quizshows vermitteln Wissen. Und dass "politische oder gesellschaftliche Fragen durch Spielfilme häufig eindrücklicher dargestellt werden können", trägt zur Krimi-Fülle bei. Wegen Kritik, dass "die Lebensrealität von Lesben, Schwulen und Trans" im Fernsehen kaum vorkäme, fragte der "Tagesspiegel" bei Fernsehmenschen rum – und bekam als Gegenbeispiele eine "Tatort"- und eine "Kroatien-Krimi"-Folge genannt.
Eine Einschränkung des Auftrags "auf vermeintlich anspruchsvolles Programm halte ich inhaltlich, politisch und strategisch für falsch", sagt Leonhard Dobusch auf Anfrage dieser Kolumne: "Inhaltlich ist eine zentrale öffentlich-rechtliche Aufgabe die Herstellung von Öffentlichkeit jenseits einer primären Profit- und Verwertungslogik". Das erstrecke sich selbstredend auch auf Unterhaltungsangebote.
Drittens: die Gremien
Dobusch bloggt auf netzpolitik.org "Neues aus dem Fernsehrat" – dem des ZDF, in dem er als "Vertreter aus dem Bereich 'Internet'" sitzt. Das steht so in der Übersicht "Fernsehratsmitglieder nach entsendenden Organisationen" und ist eine Folge des Bundesverfassungsgerichts-Urteils von 2014, das den "Anteil staatlicher und staatsnaher Personen im Fernseh- und im Verwaltungsrat auf ein Drittel" begrenzte. Seit 2016 geht es im ZDF-Fernsehrat – dem Marlehn Thieme, Vertreterin der Evangelischen Kirche in Deutschland, vorsitzt – zumindest ein wenig vielfältiger zu.
"Der Anteil von parteipolitisch nicht klar zurechenbaren Mitgliedern, die ihre Aufsichtsrolle ernst nehmen, ist gestiegen", sagt Dobusch. Und das seien auch "diejenigen, die für transparentere Aufsichtsgremien eintreten und die öffentliche Auseinandersetzung über rundfunkpolitische Themen suchen." Dennoch gebe es weiter "eine Art 'Schattenstaatsbank', also primär parteipolitisch agierende Mitglieder". Daher fordert er (der übrigens Österreicher ist, aber als teilweiser Berliner auch den Rundfunkbeitrag zahlt ...), dass "zusätzlich auch per Los Mitglieder in die Rundfunk- und Fernsehräte entsandt werden sollen".
Per Los? Das wären aleatorische Demokratie wie in der griechischen Antike und "Rundfunkschöffen", wie sie ähnlich in Gerichtsprozessen üblich sind. Statt so eines reinen Zufallsprinzips sei sinnvoller, Rundfunkräte online direkt von den Beitragszahlern wählen zu lassen, forderte hingegen der Medienwissenschaftler Hermann Rotermund in der "FAZ" (€). Für beide Positionen gibt es gute Argumente, die die beiden gerade in einem Streitgespräch auf netzpolitik.org ausgetauscht haben. Kandidaten, die sich bewerben, um gewählt zu werden, würden mehr dringend nötige Fachkompetenz mitbringen als Laien – aber auch die Gefahr, doch wieder mit politischen Bewegungen verknüpft zu sein.
Jedenfalls sollte die Rundfunkaufsicht "sowohl staats- als auch senderferner" sein, fordert Dobusch. Was angesichts ihrer Selbstdarstellung einleuchtet. Zum Beispiel der des NDR-Gremiums: Es wählt (den einzigen vorgeschlagenen Kandidaten zum Intendanten), stimmt zu (Haushaltsplänen etc.) zu, "sieht Unterhaltung als wichtigen Bestandteil des Programms" und gratuliert ("zur unerwarteten Rückkehr" eines Emil-Nolde-Gemäldes). Schelme könnten fragen, ob der Rundfunkrat inzwischen, da die Bundeskanzlerin die Rückkehr eines verliehenen Nolde-Gemäldes in ihr Büro ja nicht mehr wünscht, diese Gratulation noch aufrecht hält. Die freundliche Nähe der Gremien sowohl zu den Anstalten, die sie kontrollieren, wie auch zur Politik, ist offensichtlich. Wenn manchmal einzelne Gremien einem Projekt nicht zustimmen, wie gerade der WDR-Rundfunkrat, als er einen teuren "Siegfried und Roy"-Film stoppte ("Medienkorrespondenz"), wirkt das wie eine die Regel bestätigende Ausnahme.
Außerdem: WIe zeitgemäß ist es noch, dass jede Anstalt von eigenen Gremien beaufsichtigt wird, also auch die neun, die gemeinsam die ARD bilden? Viele Fragen – vom Umgang mit Facebook und Youtube über Idee einer "gemeinsamen Medien- und Kulturplattform" bis hin zu, klar, teuren Fußballrechten – stellen sich ja allen Öffentlich-Rechtlichen gemeinsam, die in der zunehmend global geprägten Medienlandschaft ohnehin als ein Block erscheinen. Jedenfalls würde Dobusch sich "mehr Vernetzung über die einzelnen Räte hinweg" wünschen.
Mangelnde Ideen, um den aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stammenden "Auftrag" und seine Kontrolle durch die Allgemeinheit in die Gegenwart zu transformieren, sind also das geringste Problem. Und dass die Chancen zur Verwirklichung wenigstens einiger gute Ideen nicht gerade gut stehen (weil das die Regierungen aller Bundesländer gemeinsam entscheiden müssten, die gemeinsam nicht dazu neigen, eigenen Einfluss aufzugeben), ist auch nicht das größte Problem. Das besteht darin, dass all diese Diskussionen vor allem in Nischen geführt werden – und noch kaum in der Allgemeinheit, der der öffentlich-rechtliche Rundfunk doch "alleine ... gehört".