"'taz' ist wie Kirche"
Noch spannender als die bewegte Geschichte der jüngsten deutschen Tageszeitung ist, ob die "taz" als erste freiwillig auf tägliches Erscheinen auf Papier verzichten wird. Wer wenn nicht sie sollte den Übergang hinkriegen?

Gerade wurde die "taz" 40 Jahre alt. Und sie provoziert noch immer nach Kräften, zuletzt gerne den Chefredakteur von Springers "Welt". Tatsächlich gab Ulf Poschardt, der sich selbst auf allen Kanälen gerne als Porsche-Fan inszeniert, Ärger über einen seiner Ansicht nach "irrelevanten Text" zu Protokoll: "In schwierigen Zeiten wäre eine kluge Linke hilfreich und wertvoll. Sie ist nicht in Sicht". Große Aufregung erzeugt so was aber nicht mehr. Längst wird überall härter, schärfer, bösartiger kommentiert, oft (je nach Blickwinkel) durchaus lustig. Dazu hat die "taz" Beiträge geleistet hat, aber historische. Im Meinungswettstreit des Internets spielen Redaktionen aller Art nurmehr kleine Rollen. Provokanz funzt kaum mehr, um sich abzuheben – und um Zeitungen zu verkaufen erst recht nicht.

Auch daher betreffen die Phänomene, die alle gedruckten Tageszeitungen betreffen, ebenfalls die "taz". Die gedruckte Auflage sinkt schon lange und fiel im letzten Quartal 2018 auf nur noch 50.771 Stück. Die Zahl der E-Paper-Abos steigt, aber längst nicht im gleichen Ausmaß. Je länger beide Trends weiter wirken, desto größer wird das Problem. Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch, der seit den Anfängen der "taz" dabei ist und Ende 2019 in den Ruhestand gehen wird, prognostiziert seit fast einem Jahrzehnt, dass es in den 2020er Jahren keine gedruckten Tageszeitungen mehr geben wird. Anfangs, als viele Intellektuelle bei der jungen Zeitung große Pläne schmiedeten, stand er eher am Rande, später wurde er zu "einem weisen Verleger", sagt "taz"-Chefreporter Peter Unfried. Schon lange gibt Ruch so transparent wie niemand sonst im Zeitungsgeschäft Auskunft über dessen grundsätzliche Schwierigkeiten.

Wochenend-Augabe als Wochenzeitung

Sein "Szenario  2022" rechnete 2018 plausibel vor, wie durch Verzicht auf das immer teurer werdende Drucken, das Transportieren von Zeitungen quer durchs Land und ihr Verteilen bei gleichzeitiger Konzentration auf gedruckte Wochenend-Ausgaben und Online-Einnahmen der Gewinn am Ende steigen würde. Seit 2010 besteht das Angebot, die "Wochenend-taz" separat zu abonnieren. Das hatte die Befürchtung von Kannibalisierungseffekte ausgelöst, sagt Unfried. Inzwischen geht die vergleichsweise dicke Wochenendausgabe routiniert in den Spagat zwischen Unterhaltung ("Aaaaaaah! Was hilft gegen Stress?") und engagiertem Bemühen um eine Mehrheit, die sich gegen Klimawandel einsetzt. Kürzlich verblüffte eine Titelgeschichte um einen "taz"-Mitgründer, der vor 40 Jahren dabei war, weil ihm die linke Gegenöffentlichkeit "im Spektrum fehlte", während er heute auch die AfD im "Spektrum ... vertreten wissen" will. Als Wundertüte mit oft überraschenden Inhalten, wie Leser es an Wochenzeitungen schätzen, funktioniert die Wochenend-"taz" ganz gut. Die Auflage ist stabil oder steigt.

Und die meisten Tazler wissen, dass zunehmend weniger Leser täglich etwas Gedrucktes wollen (auch wenn es, wie jüngst fröhlich-flapsig drin stand, weiter "Laberrhabarber" mit der grauhaarigen "Papierguerilla" gibt). Es geht darum, solche Leser teilweise zu halten. Was dem "großen Erfolgsmodell 'Le monde diplomatique' mit ihrem Internationalismus gelingt", wird in Baden-Württemberg auch mit der "kontext-Wochenzeitung" angestrebt, sagt Unfried.

Theoretische Vorteile der Kosteneinsparung durch Verzicht aufs Drucken (weil Papier schon wegen der Nachfrage nach Amazon-Verpackungsmaterial teurer wird, wie der "Hausblog" notierte ..), sind lange bekannt. Bei der "taz" umso besser. Ihr besonders früher Redaktionsschluss hing schon immer damit zusammen, dass die Ausgaben für ganz Süddeutschland in Frankfurt am Main gedruckt wurden und bis an den Alpenrand gefahren werden mussten. Inzwischen wird für die Südschiene sogar noch weiter nördlich, in Gießen, gedruckt. Und das, obwohl die Verkehrssituation auf den Autobahnen immer noch schwieriger wird – und der "taz" der durch Papier verursachte CO2-Ausstoß schon 2010 bewusst war.

"Nein, Du bist nicht blöd"

Andererseits sind im Internet so viele Artikel regionaler bis globaler Zeitungen gratis zu haben, dass weiter nur wenige Leser sich auf Online-Abos einlassen. Echte Einspareffekte durch Verzicht auf Gedrucktes hat bisher keine deutsche Zeitung erzielt. Wer das Problem wohl am besten lösen könnte, ist tatsächlich die "taz". Zwar stellt sie weiter alle ihre Inhalte gratis ins Netz, aber nicht, wie die meisten Wettbewerber im Zeitungsgeschäft, wegen alter Fehleinschätzungen über Online-Werbeeinahmen. Dass die "taz" sich niemals so wie andere Blätter auf Anzeigen verlassen konnte und deshalb auch nicht groß umstellen muss, gehört zu den zentralen Narrativen. Die "taz" stellt alles aus Überzeugung frei online – und erwirtschaftete mit der freiwilligen Aktion "taz.zahl.ich" im Januar "durch 15.570 regelmäßige Unterstützer*innen" erstmals sechsstellige Einnahmen. Allerdings waren im März die Zahlen wieder "nicht so gut". Es bleibt eben wechselhaft und schwierig, aber transparent.

Die "taz.zahl.ich"-Kampagne "beantwortet das Internet-Dilemma, blöd zu sein, wenn man für etwas bezahlt, das es auch gratis gibt", erklärt Unfried, und zwar mit: "Nein, Du bist nicht blöd, Du bist solidarisch – mit denen, die sich nicht leisten können, zu bezahlen, und mit den Journalisten auch". "Ich sage immer: 'taz' ist wie Kirche", formuliert es Karl-Heinz Ruch und ergänzt dann, dass das im Haus nicht so gern gehört wird. Es heißt jedenfalls: "Die Leserschaft besitzt Solidarität und das Bewusstsein, dass es die 'taz' geben muss – und diese Prinzipien konnten wir ins Netz übertragen." Das Lebensgefühl, das die "taz" vermittelt und auch verkaufen kann, beinhaltet vermutlich mehr Solidarität als die Lebensgefühle, die andere deutsche Presseverlage verkaufen.

Derzeit erarbeitet ein fünfköpfiges Team ein Konzept für die digitale Weiterentwicklung der "taz", das im September der Genossenschaftsversammlung vorgestellt werden soll. 2022 könnte die "taz" dann tatsächlich vom werktäglichen gedruckten Erscheinen Abstand nehmen. Und wenn es der jüngsten gedruckten Tageszeitung als erster in Deutschland gelänge, ihre Erscheinungsform zu transformieren und dennoch als tagesaktuelles Medium wirksam zu bleiben, würde sie sich noch nachhaltiger in die Mediengeschichte einschreiben, als sie längst schon drin steht.

 

Die nächste Medienkolumne erscheint am 9. Mai