Fernseh-Nachrichten sind eine gute Sache. Weit über neun Millionen Zuschauer sehen im täglichen Durchschnitt die viertelstündige ARD-"Tagesschau" um 20.00 Uhr. Eine öffentlich-rechtliche Programm-Institution sind auch die knapp doppelt so langen Nachrichtenmagazine, die im Allgemeinen um viertel vor (im ZDF) beziehungsweise viertel nach zehn (in der ARD) laufen. Natürlich geben sie oft auf Anlass für Ärger.
Ein aktuelles Beispiel gab Andrea Kiewel, die Moderatorin des eher boulevardesken ZDF-"Fernsehgartens", als sie sich auf juedische-allgemeine.de über einen Kurzbericht der "Tagesschau" (hier, nach genau neun Minuten) ärgerte: "Wenn also eine Meldung ... mit 'Nach schweren Angriffen der israelischen Armee' beginnt, erweckt diese Nachricht den Eindruck, Israel hätte angefangen mit den Raketen. ... Das ist falsch". ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke erwiderte (u.a.) bei Twitter, dass durchaus erwähnt wurde, dass die israelische Aktion eine Reaktion auf einen Angriff war. Wer hat recht? Kurz gesagt: beide. Wenn einleitend von "schweren Angriffen der israelischen Armee" die Rede ist, setzt das einen stärkeren Akzent als der abschließende Hinweis auf einen vorangegangenen Hamas-Angriff. Doch irgendwie müssen Berichte begonnen und beendet werden. Solch ein Streit kann oder muss geführt, kann aber kaum aufgelöst werden. Wenn jeder Halbsatz wichtig ist, unterstreicht das auch die Relevanz von Nachrichten.
Ultrakurze "Tagesthemen"
Anders ärgerlich war's etwa am Dienstag, an dem die ARD mal wieder Fußball zeigte. Die nur achtminütigen "Tagesthemen" in der Halbzeit begannen nicht mit zwei ihrer dümmlich-marktschreierischen Werbetrailer für eigene Sendungen, die die ARD zwischen Sport und Nachrichten schob. Der folgende Rest der viertelstündigen Pause verging außer mit zäher Analyse des zähen Spiels auch noch mit einem kurzen Filmbericht über die neue "Hall of Fame" im Deutschen Fußball-Museum in Dortmund. Dieser Beitrag war einerseits eher nachrichtlich, andererseits ebenfalls Werbung für eine Sendung, die die ARD nach den umfassenden Fußballberichten noch zeigte (über die "feierliche Gala zur Eröffnung der Ruhmeshalle des deutschen Fußballs").
Aufmacher der "Tagesthemen" war der Rücktritt des Fußballbund-Präsidenten Grindel gewesen, der bei derselben Veranstaltung am Montag noch dabei gewesen war, so dass sich eigentlich beide Berichte hätten verbinden lassen – wie das ZDF zeigte. Dessen "heute-journal" begann pünktlich, als in Augsburg das zähe Pokalspiel fortgesetzt wurde. Auch im ZDF war Grindel der Aufmacher. Nicht gedrängt, informierte diese Sendung klar besser.
Ich würde zurzeit ohnehin das "heute-journal" den "Tagesthemen" vorziehen, weil ich den Eindruck habe, dass es offener berichtet (zum Beispiel aus Ostdeutschland ohne zu oft das überstrapazierte Attribut "abgehängt" zu verwenden). Aber das ist eine rein persönliche Meinung, die nicht auf kontinuierlicher Beobachtung beruht, sondern auf eher zufälligen Eindrücken, und über die sich streiten ließe. Ungefähr das stellt ja den Idealfall dar: Wenn es zwei öffentlich-rechtliche Sender gibt, die mit zumindest leicht unterschiedlichen Ansätzen und Themensetzungen berichten, herrscht ansatzweise Vielfalt, und Zuschauer haben die Auswahl.
Live hilft gegen neue Konkurrenz
Tatsächlich verdient das ZDF aktuell außerdem eindeutiges Lob: Seit dieser Woche sendet es auch sonntags ein fast halbstündiges "heute-journal". Zuvor war die Sonntagssendung nur halb so lang. Das ist ein guter Schritt in eine richtige Richtung, dem weitere folgen könnten. Schließlich ist es längst eine Binse, dass Streaming und nichtlineares Fernsehen immer wichtiger werden – bei Netflix und Co, und falls ARD und ZDF geschickt agieren, auch in ihren Mediatheken. Womit lineares Fernsehen sich behaupten kann, ist ebenfalls klar: mit Livesendungen, die Zuschauer sofort statt irgendwann später sehen möchten.
Und welches Liveprogramm haben ARD und ZDF zu bieten? Die Kompetenz für fesselnde Shows und Unterhaltungssendungen haben sie schon vor Jahren oder Jahrzehnten verloren. Fußballspiele werden immer teurer und dabei keineswegs besser. Übrige Sportarten haben die Sender zugunsten des Fußballs marginalisiert. Das beste Live-Fernsehen sind die Nachrichtenmagazine, in denen Marietta Slomka oder Ingo Zamperoni die globale und nationale Nachrichtenlage zu genau diesem Zeitpunkt zusammenzufassen versuchen, so gut es geht. Das ist schwierig und bietet häufig Anlass zu Kritik, die aber eben auch von Relevanz zeugt. Daher wäre es eine gute Idee, gerade jetzt diese Nachrichtensendungen aufzuwerten, zum Beispiel in Form einer gemeinsamen Selbstverpflichtung. Sie könnte beinhalten,
- dass, wenn einer der Hauptsender sein Nachrichtenmagazin sehr kurz oder sehr spät sendet, es der andere nicht tut.
- dass, wenn Sportveranstaltungen die Nachrichten verkürzen, die kurze Dauer nicht noch durch Eigenwerbung weiter verkürzt wird.
- dass Sender mit Kritik an ihren Nachrichten an einer gut auffindbaren Stelle offen umgehen – wie es die "Tagesschau" nurmehr sporadisch (und mit Selbstlob durchsetzt) auf blog.tagesschau.de tut.
- dass sie in nachrichtlichen Sendungen auf emotionalisierende Untermalungsmusik verzichten (was sie nicht immer tun).
Und es gäbe weitere Ideen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen steht unter Druck und wird unter noch schärferen geraten. Schon weil politische Beschlüsse über eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags (und wahrscheinlich auch über eine Änderung des Prozederes bei dessen Bemessung) bevorstehen. Um ihre Akzeptanz zu erhalten oder sogar zu steigern, dürften weitere Krimis oder Quizshows den Öffentlich-Rechtlichen kaum helfen. Eine Nachrichten-Selbstverpflichtung dagegen wäre schnell und leicht umzusetzen und nicht besonders teuer (sondern, wenn die Zahl der Krimis dafür leicht sänke, wahrscheinlich sogar billiger). Wie wär's, ARD und ZDF?