In Jahren mit 9 als letzter Ziffer können immer auch Jubiläen gefeiert werden, die nicht in erster Linie Gedenktage sind. Das liegt vor allem am Jahr 1949, in dem außer der Bundesrepublik auch viele Institutionen entstanden, die inzwischen ebenfalls viel erreicht haben. Nur zum Beispiel wird 2019 auch "epd medien", der evangelische Medien-Branchendienst, 70 (wie dieses Sonderheft/ PDF schön zeigt). Genauso alt, weil ebenfalls anno 1949 in Betrieb genommen, ist UKW – also die Ultrakurzwelle, auf der noch immer nicht-digital Radio ausgestrahlt und über Antenne empfangen wird. UKW wurde, wie Diemut Roether in einem "epd medien"-Artikel beschreibt, in der jungen BRD "aus der Not geboren":
"Bei der Wellenkonferenz in der dänischen Hauptstadt, an der das besetzte Deutschland nicht teilnehmen durfte, wurde 1948 entschieden, dass das Land deutlich weniger Frequenzen erhalten sollte als zuvor."
Knappheit war vor der Digitalisierung der wohl wichtigste Treiber der Medien. Länder, die zuvor im Krieg besetzt gewesen waren, sicherten sich Frequenzspektrum zulasten des besiegten Kriegsbeginners. Die Deutschen taten, was sie oft gemacht hatte, und erfanden etwas: "Der erste UKW-Sender in Europa wurde am 28. Februar 1949 in München in Betrieb genommen". Die Erkenntnis, dass sich auf der neuen Kurzwelle viel besser Radio hören lässt als auf Mittel- und Langwellen, setzte sich bald durch. Schon lange wird die Mittelwelle für Radiozwecke gar nicht mehr genutzt. Groß als Erfolgsgeschichte gefeiert wird der UKW-Geburtstag allerdings auch nicht. Viele Radio-Macher warten darauf, dass diese letzte analoge Medienausstrahlungsart abgeschaltet wird und die erhoffte Erfolgsgeschichte des digitalen Nachfolgestandards DAB+ endlich richtig losgeht.
Digital ist ökologischer
Das zeigte sich etwa bei einer Tagung vergangene Woche in Berlin (über die ich auch in der aktuellen "epd medien"-Ausgabe berichte). Die Ausrichter sprachen von UKW als "alter Tante" und sprühten vor Optimismus. Schließlich überzeuge DAB+ "immer mehr Hörerinnen und Hörer", die auch immer mehr digitalradiofähige Geräte kaufen, wie Digitalradio Deutschland e.V. immer gerne mitteilt. Mehr als 1,4 Millionen Geräte waren es 2018. Doch stehen eben auch Abermillionen haltbare UKW-Radios in sämtlichen Haushalten. Daher wächst der Anteil von DAB+ von gut 15 Prozent an der gesamten Radionutzung (vgl. die Medienkolumne "Das UKW-Problem") nur langsam.
DAB+ koste weniger Strom als UKW und ist ökologischer, sagte Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue. Er kündigte an, dass seine öffentlich-rechtliche Anstalt, nach Helgoland und Mittenwald (am Alpenrand, das im übertragenen, also Antennen-Sinne ebenfalls eine "Insel" ist ...), in diesem Jahr in weiteren drei Regionen in Bayern UKW-Frequenzen zurückgeben wird, in Amberg, Füssen und Kempten. Die Digitalradio-"Entwicklung lässt sich nicht aufhalten", sagte die als "oberste Digitalpolitikerin unseres Landes" eingeladene Digital-Staatsministerin Dorothee Bär. Und der Präsident des Weltverbandes WorldDAB, Patrick Hannon, erzählte internationale Erfolgsgeschichten: In Großbritannien habe anfangs auch niemand groß an Digitalradio geglaubt, doch nun würden Radioketten mit nationaler statt bloß regionaler Werbung umso mehr Geld verdienen. In Frankreich setze DAB+ sich auch aus anderen Gründen durch: wegen der Ausfallsicherheit in Katastrophenlagen und des Bewusstseins, dass Radiosender, die ausschließlich auf Verbreitung übers Internet setzen, sich in die Abhängigkeit internationaler "Gatekeeper" begeben würden.
Was tatsächlich eine offene Flanke der laufenden Entwicklung ist: Zwar ist ausgeschlossen, dass UKW noch wächst. Doch die vielen jungen Leute, die besonders in Berlin immer mit Kopfhörern auf den Ohren herumlaufen (und von denen auf der Tagung auch die Rede war), hören selten digital Radio, sondern lassen sich Musik oder andere Hör-Inhalte streamen. Und dass Spotify, Apple und Amazon (das seine Clouds auch gerne an Großkunden vermietet), ihre Internet-Geschäftsmodelle längst durchgesetzt haben werden, wenn Digitalradio endlich das Niveau von UKW erreicht haben wird, erscheint mindestens denkbar.
Was in Autos eingebaut sein muss
Überdies schwelt im Lager der Radiosender Streit zwischen öffentlich-rechtlichen (die die, bevor alles stromsparender und billiger wird, hohen Digitalisierungs-Kosten über Rundfunkbeiträge erstattet bekommen) und privaten, die alles alleine bezahlen müssen (wenn sie nicht, wie in Bayern, auch gefördert werden). Und zu allem Überfluss zeigte eine Diskussionsrunde, dass ziemlich durchsetzungsfähige Akteure keine ganz großen DAB+-Fans sind: die Automobilhersteller. Dabei hat die starke Radio-Nutzung viel mit der vielen Zeit zu tun, die durchschnittliche Deutsche im Auto verbringen. Manager von Audi und Ford berichteten von Kundenbeschwerden über Lautstärkeunterschiede und besonders die Übertragung von Verkehrsinformationen. Nicht, dass die Auto-Firmen sich noch für UKW engagieren, aber für "hybride" Apps, die Inhalte via Internet wie auch via DAB+ empfangen – und wohl eher übers Netz gesteuert werden.
Zwar hat die EU eine "Digitalradio-Pflicht für Neuwagen" beschlossen, derzufolge ab 2020 die meisten Neuwagen, wenn sie Autoradios, dann "einen Empfänger enthalten" müssen, "der zumindest den Empfang und die Wiedergabe von Hörfunkdiensten, die über digitalen terrestrischen Rundfunk ausgestrahlt werden, ermöglich. Die Umsetzung in deutsches Recht steht noch bevor. Ob die Gewohnheit deutscher Hersteller, in ihre Autos Digitalradios einzubauen, die Kunden aber kostenpflichtig freischalten lassen müssen, sofern sie welche haben wollen, dadurch beendet werden wird, wurde nicht besprochen. Vermutlich, weil Digitalpolitiker wie Doro Bär oder die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab bei wichtigen politischen Entscheidungen eher wenig zu sagen haben, während die Autoindustrie viel Einfluss hat.
Kompliziert bleibt es also auch im Radio. Ihren 80. Geburtstag wird die alte Tante ULW vermutlich bei ganz guter Gesundheit feiern können. Wer die Anschaffung eines neuen Radiogeräts erwägt, sollte sich aber schon über DAB+ informieren. Ganz gut ist die Technik nämlich.