Es ist fast drei Kilo (oder als PDF drei Megabyte) schwer und 504 Seiten beziehungsweise drei Zentimeter dick: das Buch "Sicherung der Meinungsvielfalt im digitalen Zeitalter". Mindestens so ungewöhnlich wie inzwischen solch ein Umfang für Gedrucktes war auch, wie es diese Woche bei einer Pressekonferenz in Berlin präsentiert wurde. "Sie forschen so viel, aber Sie erreichen 0,0 Prozent!", sagte Joachim Huber vom "Tagesspiegel" nach der Präsentation des KEK-Vorsitzenden Georgios Gounalakis. "Vollkommen richtig erkannt", antwortete dieser. Es gehöre zu den Aufgaben der KEK für öffentliches Interesse an Fragen der Meinungsvielfalt und Meinungsmacht zu sorgen. Da es anders nicht gelang, versucht sie es nun eben so.
Normalerweise präsentieren Kommissionen aller Art sich selbst als bedeutsam. Wer hören will, dass sie so wichtig doch nicht sind, muss bei konkurrierenden Instititutionen nachfragen oder bei Ministerialbeamten, die nicht genannt werden wollen. Die KEK arbeitet akribisch, wie das dicke Buch belegt, das den gedruckt wohl bestmöglichen Überblick über die Besitzverhältnisse in der rasant in viele Richtungen (und mit vielen weiteren Branchen zusammen-) wachsenden Medienlandschaft gibt. Doch sie beklagt sich so deutlich wie selten jemand, in der Politik nicht ernst genommen zu werden, und "den Gesetzgeber nicht zum Handeln bewegen (zu) können" (S. 488). "Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich ist frustriert", schrieb Huber denn auch.
Analog und anachronistisch
Diese Kommission, um die es unter der Überschrift "Wie misst man Meinungsmacht?" hier schon mal ging, entstand 1997 durch den 3. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, um Gefahren für die Meinungsvielfalt zu erkennen und abzuwehren. Solche Gefahren wurden damals allein beim Privatfernsehen vermutet. Seither ist viel geschehen. Fernsehen und im Prinzip auch Radio wurden digital, weshalb keine Frequenzknappheit mehr herrscht. Das Internet hat sich exorbitant verbreitet und alle anderen Medien enorm verändert.
"Vorherrschende Meinungsmacht" wird bei einem Fernseh-Zuschaueranteil von 25 Prozent angenommen. Schon wegen der immer stärker fragmentierten Mediennutzung – in immer mehr Sender mit jeweils noch kleinerem Gesamtpublikum wie auch in immer mehr weitere, oft auch mit Bewegtbildern arbeitende Mediennutzungsformen – wird dieser Anteil vermutlich nie mehr erreicht werden, glaubt Georgios Gounalakis. Die KEK müsse nach einem "anachronistischem Modell aus der analogen Welt" arbeiten.
Das dicke Buch ist durchaus interessant. Ich schlug es auf den Seiten 400/401 auf und stieß auf "weitere Medienaktivitäten" der Sky Deutschland-Eigentümer. Obwohl ich mich viel mit der Medienlandschaft beschäftige, war mir neu, dass die Endemol Shine Group Germany GmbH zur Hälfte der 21st Century Fox gehört. Was bedeutet, dass am Erfolg von Endemol-Töchtern wie Jörg Pilawas "Herr P GmbH", die jede Menge Quizshows besonders für öffentlich-rechtliche Sender herstellt, auch Rupert Murdoch, der Fox News-Besitzer, partizipiert. Solche Beobachtungen in "medienrelevanten verwandten" und "vor- und nachgelagerten Märkten" stellt die KEK an, weil Transparenz zu schaffen und Tendenzen zu erkennen auch zu ihren Aufgaben zählt. Schon seit Jahren warnt sie und mahnt ein "fernsehunabhängiges Vielfaltsicherungsmodell" für alle publizistischen Medien, darunter auch Suchmaschinen und sog. soziale Netzwerke an.
Doch habe die Sicherung der Meinungsvielfalt bei den zuständigen Bundesländer-Politikern einen "geringen Stellenwert" (S. 492). Gewiss muss diskutiert werden, ob ohne Frequenzknappheit Meinungsvielfalt bedroht ist. Und ob Facebook oder seine zahlenden Kunden, die klassische Werbekunden, aber auch (wie im US-amerikanischen Wahlkampf) verdeckt operierende politische Parteien sein können, Meinung machen, wird ja häufig diskutiert. In Streits über Auswirkungen des Plattform- und Datenkapitalismus, in dem Zugang zu großen Öffentlichkeiten vor allem auf dank geheimer Algorithmen erfolgreichen Plattformen milliardenschwerer Konzerne möglich ist, sind Begriffe wie "Meinungsvielfalt" und "Vielfaltssicherung", die KEK so gerne verwendet, ein überzeugender Ansatz – der auch "Zensur"-Vorwürfen, die gegen tatsächlich beschlossene Medien-Gesetze oft erhoben werden, entgegensteht.
Die schlechteste Lösung
Zwar widerspricht niemand den KEK-Forderungen und gab es erste Gesetzesentwürfe, doch wurden sie nicht weiterverfolgt. Bundesländer, die Standortpolitik für in ihnen ansässige Unternehmen betreiben, würden blockieren, beklagt der KEK-Chef. Sie "verhindern beharrlich jede Befassung des Gesetzgebers mit seit Jahren überfälligen Reformen" (S. 35).
Leicht zu verstehen ist das nicht. Inzwischen spricht ja kein Politiker drei Sätze nacheinander, ohne einmal "Digitalisierung" zu sagen. Doch in der gesamten Medienpolitik läuft so gut wie nichts mehr, weil sich eben 16 Bundesländer einigen müssen und Medienpolitik sowohl besonders kompliziert ist als auch als wenig wichtig gilt. Bei den regelmäßigen Konferenzen der Ministerpräsidenten stehen alle möglichen Themen auf der Agenda. Zuletzt war es vor allem der "Digitalpakt", in dem es nicht um digitale Medien ging, sondern um die Finanzierung digitaler Geräte für Schulen. Auch ein wichtiges Thema, auch ein kompliziertes Bund-Länder-Konstrukt – und beschlossen wurde, dass dieser Pakt doch noch mal neu formuliert werden muss. Sogar die Frage, ob und wie überhaupt zukünftig der Rundfunkbeitrag erhöht werden soll, die die Ministerpräsidenten durchaus interessiert, weil sie über die Rundfunkanstalten bei aller theoretischen Staatsferne allerhand massenmedialen Einfluss ausüben können (was übrigens die KEK nicht zu scheren hat; um öffentlich-rechtliche Meinungsmacht darf sie sich nicht kümmern), wurde ins nächste Jahr vertagt, in dem vier Wahlkämpfe Einigungen noch schwieriger machen dürften. Insofern ist Medienpolitik tatsächlich frustrierend.
Ob die Ansätze der KEK und die von ihr geforderten Maßnahmen belastbar und sinnvoll sind, ist eine andere, einstweilen theoretische Frage. Wenn "vorherrschende Meinungsmacht" eingeschränkt und Konzernen etwas verboten würde (oder erlaubt, obwohl andere Verbote fordern), ginge das Streiten natürlich erst los. Schon deshalb, weil Diskussionen zu ermöglichen und breit zu führen ja zu den wichtigen Aufgaben der Medien gehört (und andererseits Medien es weiterhin oft gut verstehen, Diskussionen in eigener Sache je nach Bedarf groß oder klein zu fahren).
Dass darüber überhaupt nicht gestritten wird, weil gar keine Medienpolitik gemacht wird, und Regeln, die sowohl längst veraltet sind als auch angesichts der Entwicklung rasant noch weiter veralten, mangels Interesse halt weiter in Kraft bleiben, ist die schlechteste Lösung.