Gutenbergs Gugelmütze
In Mainz wird kein Bibelturm errichtet. Doch das Museum für den Mann des vorigen Jahrtausends ist auch in diesem noch sehenswert. An Anknüpfungspunkten an die Medien-Gegenwart herrscht kein Mangel.

Am Wochenende fand in einer deutschen Großstadt ein Bürgerentscheid statt, bei dem mit großer Mehrheit der Bau eines "Bibelturms" abgelehnt wurde. Etwas merkwürdig, dass (außer evangelisch.de) fast nur regionale Medien darüber berichteten. Allerdings hatte das Turmbau-Projekt mit dem Inhalt der Bibel nichts zu tun. So ein Turm, wie er als "größte Bibel der Welt" 2017 am Hauptbahnhof in Lutherstadt Wittenberg stand, war nicht geplant; in Mainz hätte er bloß ein bekanntes Museum erweitern sollen, dessen bekannteste Ausstellungsstücke eben zwei der ältesten gedruckten Bibeln sind: das Gutenberg-Museum.

Politisch ist das Ergebnis nicht unspektakulär. Außer der regierenden Ampelkoalition hatte auch die größte Oppositionspartei im Stadtrat, die CDU, zum Zustimmen aufgefordert. Mehr als drei Viertel der vielen Abstimmenden stimmten dagegen. Doch das dürfte vor allem mit dem Stadtbild zu tun haben. "Keine weitere Bausünde in Mainz, kein weiteres Schuldenfass ohne Boden" stand auf Plakaten, die vor der Abstimmung überall in der Stadt hingen. Schon auf die ersten Blicke ist Mainz eine besonders krasse Mischung aus (oft restauriertem) Barock der Kurfürstenzeit, in der es jahrhundertelang eine der wichtigsten deutschen Städte war, und Brutalismus der 1970er Jahren (wie dem Rathaus direkt am Rhein) sowie weiteren Nachkriegs-Stilen. Ein 2010er-Bauwerk gleich neben dem Dom muss wirklich nicht noch dazu kommen. Wenn sich an Frühlings-Samstagen die Mainzer dort zum Schoppen versammeln, ist es jetzt so schon voll, dass man kaum durchkommt zum Gutenberg-Museum.

Verblasst der Ruhm?

Das Museum gilt dem Menschen, der vor nicht ganz zwei Jahrzehnten den klangvollsten Titel erhielt, den wohl jemals ein Sterblicher zuerkannt bekam. Inzwischen wird das "Man of the Millenium" vor allem in und um Mainz hochgehalten (mainz.de), aber die Idee dazu stammt vom US-amerikanischen "Time Magazine". Das hatte um den Jahrtausendwechsel herum viel Aufsehen erregt – auch wegen des Medienwandels in seiner damals aktuellen Erscheinungsform. Da fusionierten Time Warner – also Presseverlag und Filmstudio – und das Onlineunternehmen AOL zum weltgrößten Medienkonzern. Diesem AOL Time Warner schien die Zukunft zu gehören. Allerdings folgte die Krise der frühen "New Economy", und die AOL-Art des Internetszugriffs erwies sich als Sackgasse. "Time" ernennt immer noch "Persons of the year", die inzwischen nicht mal mehr männlich sein müssen – 2015 war's Angela Merkel, 2016 Donald Trump. Kürzlich wurde das Magazin mit Hilfe schwerreicher Milliardäre, die sich in den USA noch am ehesten für Printmedien interessieren, weiterverkauft.

Verblasst der Ruhm des Manns des (vorigen) Jahrtausends gerade genau so schnell? Das Museum befindet sich in einem "zeitgemäßen Neubau" von 1962, wie es im offiziellen Museumsführer heißt, und könnte einen Ausbau vertragen. Es "konserviert ... die Museumsdidaktik der 1960er Jahre. Mehr als ein halbes Jahrhundert später ist das nicht mehr tragbar", steht in einem der vielen Internetauftritte. Es ist dunkler als es zum Schutz der empfindlichen Objekte sein müsste, eng und nicht gerade übersichtlich. Dabei ist es hoch interessant. So sind die beiden B42-Bibeln, die es besitzt, auf der gleichen Doppelseite aufgeschlagen. Das zeigt, dass die ersten gedruckten Bibeln immer anders aussahen, weil die Drucker die Stellen für Illustrationen frei ließen, so dass jeweils andere Illuminatoren und Rubrikatoren sie nach dem Geschmack (und Budget) der Besitzer füllen konnten. Was gleich ein Anknüpfungspunkt an die Gegenwart wäre: Auch heute erscheinen dieselben Inhalte ja keineswegs allen, die sie anklicken oder auf andere Weise zu sehen bekommen, in derselben Form.

Ausgestellt sind zum Beispiel einst in Bibliotheken angekettete Kettenbücher, die zeigen, wie wertvoll Bücher waren, bevor durch Drucktechnik ein Massenmedium daraus wurde, und chinesische Satzzirkel. Völlig anders und mit rund 7.000 Zeichen wurde das Drucken schließlich deutlich früher im Fernen Osten erfunden. Um jahrtausendealte, nach Jahrhunderten in Vergessenheit geratene und wiederentzifferte Keilschriften geht es, und das Deutsche Buchbindermuseum ist integriert. Rückwärtsgewandt wirkt das Museum also schon.

Und die "Geschichte des deutschen Nachrichtenwesens" wird erzählt. Dafür gibt es viele Gründe. Schließlich wurde die regelmäßig erscheinende Zeitung der Welt 1605 in der damals deutschen Reichsstadt Straßburg erfunden, und die Tageszeitung ein knappes halbes Jahrhundert später in Leipzig. Aber diese Ausstellung vor allem auf bebilderten Texttafeln wirkt besonders gedrängt. Inzwischen müsste sie längst anders in die Gegenwart geführt werden als durch eine weitere Texttafel "Konkurrenz mit dem Internet". Wobei das natürlich kein Gutenberg-Museums-Problem darstellt. Warum es ausgerechnet in Deutschland kein zentrales Zeitungsmuseum gibt (einige kleinere in der Peripherie gibt es), ist eine lange offene Frage, die nur manchmal noch gestellt wird. Die Antwort könnte damit zusammenhängen, dass die Zeitungen fürchten, umso weniger Zukunft zu haben, wenn ihre lange und spannende Geschichte erst musealisiert ist.

3-D-Drucker drucken ja auch

Zu den auf den ersten Blick spektakuläreren Objekten zählt eine dampfgetriebene Zylinderschnellpresse aus dem 19. Jahrhundert. Erstmals eingesetzt wurden solche Geräte 1814, als darauf die englische "Times" wesentlich effizienter, weil nicht mehr von menschlicher Kraftanstrengung abhängig, gedruckt wurde. Die Presse zeigt vor allem, dass die ersten echten Innovation der von Johannes Gutenberg ums Jahr 1450 herum erfundenen Technik mehr als dreieinhalb Jahrhunderte später erfolgten – auch daher der Jahrtausend-Titel. Das Unternehmen, das die Konstrukteure Friedrich Koenig und Andreas Bauer dann in Deutschland gründeten, existiert noch immer, nach eigenen Angaben ganz gut. Druckmaschinenhersteller hängen ja nicht allein von Zeitungen ab. Werbeprospekte müssen gedruckt werden, und was im Internet bestellt wird, wird in bedruckten Verpackungsmaterialien geliefert. Zumindest noch so lange, bis vielleicht in jedem Haushalt ein 3-D-Drucker steht, der alles Möglich ausdrucken kann. Wobei die Geräte immer noch heißen wie Gutenbergs Erfindung – so wie "Presse" nicht nur als Synomym für Zeitungen verwendet wird, sondern in Lobbydiskussionen sogar für Nachrichtenportale im Internet ("Presseähnlichkeit"). Mit Recht jeweils?

An Anknüpfungspunkten an die dynamische Gegenwart mangelt es im Gutenburg-Museum also nicht. Einen Ausbau und eine zeitgemäßere Präsentation hätte das global bedeutende, sichtlich viel international besuchte, bloß in der deutschen Wahrnehmung seltsam unterrepräsentierte Museum verdient. Aktuell ist offen, wie es weiter geht – und auch, ob es geöffnet bleiben kann, wenn der notwendige Umbau irgendwie anders vonstatten geht. Auch ein Grund, es sich bald anzusehen ...

Eines der gängigen Museen-Ausstellungsobjekte dort ist ein Wappenstein der Familie Gutenberg, von deren bekanntestem Mitglied kein einziges Bild aus dessen Lebzeiten überliefert ist. Erst gut 100 Jahre nach seinem Tod wurde der "Mann des Jahrtausends" erstmals porträtiert. Das Familienwappen zeigt, gerade noch erkennbar, einen Menschen mit "Gugelmütze". Dabei handele es sich um eine lange Zipfelmütze mit Quast. Und dass eine Google, pardon: Gugel einmal ein physisches Objekt war, das womöglich Johannes Gutenberg trug, ist doch auch eine schöne Erkenntnis.