Medien-Ökosysteme vs. Plantagenwirtschaft?
Kann unabhängiger freier Journalismus online in Form von "Ökosystemen" überleben? Das Projekt namens Riffreporter hat dazu ein paar gute Ideen. Spannend wird zunächst, ob der Blog für Vogelfreunde abhebt ...

Komplizierte, diffuse und unsinnige Begriffe gibt es in der deutschsprachigen Medienwelt der Gegenwart viele, vom umstrittenen Gesetz mit 27 Buchstaben bis zum Internet-Ersatzbegriff "Telemedien". Das war hier schon öfters Thema. Gibt es auch sinnvolle und schöne Begriffe? Wie wär's etwa mit "Ökosystem"?

Zum Beispiel einem "für freien Journalismus" oder einem "journalistischen Ökosystem für Wissenschaft, Kultur,  Umwelt, Technologie, Gesellschaft" (PDF). Beide Formulierungen entstammen der Selbstdarstellung des Projekts riffreporter.de. Auch ein Blick auf die Startseite lässt an Ökosysteme denken. Dort geht es derzeit viel um Vögel ("... füttern – ja oder nein? Und wenn ja - nur im Winter oder ganzjährig?"), und auch sonst werden gern Bilder von freier Natur und aus maritimen Zusammenhängen gezeigt. Passend zum Projektnamen spielt der Begriff "Korallen" eine wichtige Rolle. Da handelt es sich um "eigenständige Projekte, die Sie einzeln abonnieren oder unterstützen können". Die am weitesten gediehene "Koralle" ist der Vogel-Blog flugbegleiter.org – daher die vielen Vögel  ...

Womöglich mussten auch Sie erst mal kurz überlegen, ob der "Ökosystem" eigentlich mehr mit Ökologie als -nomie zusammenhängt. Mit beidem, antwortet der Berliner Wissenschaftsjournalist Christian Schwägerl: "Wer Wirtschaft lernen will, muss in die Natur schauen. Als Alexander von Humboldt Wirtschaft studierte, war das noch klar." Bei den Riffreportern, die Schwägerl gemeinsam mit der Bremer Kollegin Tanja Krämer dezentral gegründet hat, stehe "Ökosystem" für ein "anderes Denken als die Start-up-Logik" und für ein anderes Arbeiten als das zentralisierte, hierarchisierte dort.

Tatsächlich ist "Start-up" gleich wieder so ein Hypewort, das kaum mehr als "was mit Internet" aussagt. Wobei auch "Ökosystem" durchaus in solchen Internet-Zusammenhängen verwendet wird, wenn etwa in bewunderndem Sound Apples "Ökosystem" gepriesen wird. Schließlich hielt Apple ja – so geht eine der zentralen Medienwandels-Geschichten – dank seiner "iTunes" die Musikindustrie gerade noch am Leben, als es mit der nach der ersten Digitaleuphorie steil bergab ging. Wenn Google oder Apple von "Ökosystem" sprechen, sei das "Missbrauch", sagt Schwägerl: "Da handelt es sich von den Machtstrukturen her eher um Plantagenwirtschaft".

Nicht so hektisch wie der Mainstream

Bei den Riffreportern soll es bald zehn bis fünfzehn gleichrangige "Korallen" geben. Ökologische Aspekte spielen eine wichtige Rolle. Eine der künftigen Korallen wird sich damit befassen, wie Gesellschaften mit dem Klimawandel umgehen. Daran arbeitet Christopher Schrader, der einst Wissenschaftsredakteur der "Süddeutschen" war, nun selbstständig, bei der Zeitung freier Autor ist –  und Riffreporter. "Das Thema Klimawandel rutscht in den Mainstream-Medien seit 30 Jahren immer wieder runter, obwohl es existenziell ist", sagt Schwägerl.

Insofern reflektiert das Riffreporter-Projekt die Lage des Journalismus von zwei Seiten: Bei klassischen Medien, die Themen unter Nischen-Verdacht seltener behandeln als früher (schon weil Zeitungen wegen schwindender Abonennten und Werbekunden ja ohnehin dünner werden), sind Fach- und Wissenschaftsjournalisten weniger gefragt. Dabei werden die berichtenswerten Themen natürlich nicht weniger, eher im Gegenteil. Themenblogs, die "im Unterschied zu den hektischen Aufmerksamkeitszyklen der Mainstream-Medien dranbleiben", sollen  einspringen. Sowohl für die Journalisten, denen sie ein Zusatzeinkommen bieten, damit sie nicht mit PR Geld verdienen müssen und sich Glaubwürdigkeitsprobleme einhandeln, als auch für die interessierte Fach-Öffentlichkeit, die aus klassischen Medien längst nicht mehr alles erfährt.

Bloß, bezahlt werden muss. Da baut die eingetragene Genossenschaft (eG) der Riffreporter ebenfalls auf Vielfalt. Gemeinnützige Förderer wie GLS Treuhand gaben eine Startfinanzierung, so wie auch einzelne Korallen sich um Anschubfinanzierungen von Stiftungen bemühen sollen. Dauerhaft tragen sollen die Projekte jedoch Unterstützer-Communites und "Riff-Supporter", die sich fürs jeweilige Thema und für "freien, unabhängigen Journalismus" interessieren. Das wiederum können sowohl einzelne Leser sein, die "einen Genossenschaftsanteil für 50 Euro" erwerben (oder natürlich mehr). Aber auch Stiftungen. So hat die Schweizer Demokratiestiftung in größerem Stil Anteile erworben. Tatsächlich interessieren sich deutsche Stiftungen zwar noch nicht in dem Maß, wie es US-amerikanische tun, doch zunehmend für "Qualitätsjournalismus". (Und um es noch komplizierter zu machen: Angesichts der schon lange minimalen Zinsen erwägen Stiftungen inzwischen auch, Darlehen aus ihrem Stiftungskapital zu vergeben, das als Fremdkapital dann freilich, moderat, verzinst werden muss. Auch damit beschäftigt sich Schwägerl, der sich als Leiter der Masterclass "Wissenschaftsjournalismus" von Bosch-Stiftung und Reporter-Forum in die Materie eingearbeitet hat.)

"Datenschatz", doch nicht für Werbung

Ähnlich vielfältig soll sich die Finanzierung auf der anderen Seite, beim Einzelverkauf an Leser, darstellen: Künftig können "Koralle"-Macher aus einem Baukasten aller gängigen Journalismusfinanzierungsmodelle auswählen, was ihnen am besten erscheint: Micropayment pro Beitrag, Abonnements und "Abo plus"-Modelle (bei denen Nutzer freiwillig mehr bezahlen, so wie beim "politischen Abopreis" der "taz"), Einzelspenden und projektbezogenes Crowdfunding. Flatrates zum Beispiel für Bibliotheken gehören zum Baukasten, und "ruhige, magazinartige Werbung" soll überdies auf den Riffreporter-Seiten erscheinen, doch "ohne den ganzen Datensammelirrsinn und die Aggressivität gegenüber dem Leser". Die nervt auf vielen Portalen nicht nur Christian Schwägerl.

Ob auch nichtzahlende Leser Inhalte zu sehen bekommen, ob sie in sozialen Medien verteilt werden, entscheiden die "Koralle"-Macher ebenfalls selbst. Absehbar ist, dass nicht alle Modelle gleich gut funktionieren wird. Daraus soll wiederum ein Mehrwert entstehen. Den entstehenden "Datenschatz" aus Analyse- und Performance-Daten medienökonomisch auszuwerten und daraus Schlüsse für künftige Journalismus-Projekte zu ziehen, gehört zur ausgefuchsten Riffreporter-Planung.

Das dürfte eine gute Idee sein. Schließlich wimmelt es im Internet vor Journalismusfinanzierungs-Ideen. Um nur das spektakulärste jüngste Beispiel zu nennen: Das Schweizer Projekt republik.ch (das Leser, die über Links wie diesen kommen, mit "Geehrte Dame, geehrter Herr, Sie wissen: Journalismus ist teuer" empfängt ...) sammelte per Crowdfunding gut drei Millionen Euro ein. Doch viele, die so nachhaltig funktionieren wie jene Zeitungs-Abos jahrzehntelang taten (und immer noch tun), die ziemlich viel vom aktuellen deutschen Onlinejournalismus-Angebot querfinanzieren, gibt es nicht. Valide Daten zum Beispiel darüber, ob es sich auf Dauer lohnt, der Reichweite wegen Inhalte auch gratis anzuzeigen, oder der Einnahmen wegen konsequent nur für zahlende Leser zu schreiben, dürften dankbar aufgenommen werden.

Spannend wird aber zunächst, ob die "Flugbegleiter" mit ihrem Abo-Modell von 3,99 Euro im Monat und dem Einzelverkauf von Beiträgen abheben. Auf mindestens 4.000 Menschen beziffert Schwägerl anhand der pro Artikel erreichten Views die Community, die es auch gelegentliche Kritik an befreundeten Institutionen (wie dem NABU) gouttiere. Wird die Zahlungsbereitschaft der bisherigen Leser groß genug sein? Im aktuellen Internet, in dem täglich mehr neuer Lese- (und audiovisueller) Stoff zusammenkommt, als sich auch mit dem allergrößten Zeitbudget verfolgen ließe?

"Ökosysteme", Riffs oder andere, sind eben – und auch das schwingt beim ökologischen Begriff längst mit – auf guten Willen der Menschen angewiesen. Schwägerl sagt: "Wir haben schon einige Krisen hinter uns und einen langen Atem für dieses Projekt".