Bei Medien gilt vermutlich noch mehr als in anderen Bereichen: Wer Begriffe setzt, die verwendet werden und über die diskutiert wird, hat schon halb gewonnen. Daher heißen Netzwerke nun eben "sozial" und Geräte "smart". An eingeschliffenen, nicht sehr sinnvollen Begriffen für ältere Medien herrscht aber auch kein Mangel. Sie bestimmen zwar nicht viele Diskussionen, doch, leider, die entscheidenden.
Leonhard Dobusch, Universitätsprofessor, ZDF-Fernsehrats-Mitglied und netzpolitik.org-Autor, hat schon mal "presseähnlich" als Unwort des Jahres nominiert. Zwar dürfte er kaum Chancen haben. Schließlich gibt es schlimmere Wörter. Dass der Begriff "schon bei seiner Erfindung veraltet war, inzwischen aber jede Berechtigung verloren hat", trifft jedoch zu. Dennoch steht "Presseähnliches" auch 2018 wieder auf der Tagesordnung der für Medienpolitik zuständigen Politiker, der Ministerpräsidenten:
"Die Verweildauern für Sendungen und auf Sendungen bezogene Telemedien (Sieben-Tage-Regelung) sollen aufkommensneutral zeitgemäß ausgedehnt und die Regelung zum Verbot presseähnlicher Angebote weiter konkretisiert werden" ("Medienkorrespondenz").
Es wird also um die alte, durchaus sinnvolle Frage gehen, was die öffentlich-rechtlichen Sender im Internet dürfen sollen. Dabei kann selbst der eloquente Star-Lobbyist der Gegenseite, Springer-Chef Mathias Döpfner, auch ohne den Begriff auskommen. Im Interview, das er dem Deutschlandfunk gerade gab, taucht "presseähnlich" jedenfalls nicht auf. Da sagt Döpfner stattdessen:
"Wenn Sie heute die Webangebote vieler öffentlich-rechtlicher Sender ... angucken, dann sind die auf den ersten Blick komplett verwechselbar mit dem, was die 'FAZ' oder die 'Süddeutsche' oder 'Die Zeit' oder 'Die Welt' anbieten."
Das Argument ist nicht übel. Warum die ARD auf Döpfners wiederholtes Angebot "ungefähr ein Drittel des Angebots könnte textdominiert sein, aber zwei Drittel sollten mit bewegten Bildern…" bestritten werden, nicht eingeht, ist unklar. Schließlich betreibt die ARD eine Menge Fernsehsender und noch mehr Radiosender, deren Audioangebote ein sinnvoll konzipiertes "Tagesschau"-Portal ebenso flankieren könnten wie externe Links zu weiterführenden Artikeln von Verlags-Webseiten. Bloß: Wer immer noch mit dem Begriff "presseähnlich" hantiert, tut auch seinen guten Argumenten keinen Gefallen.
Was "Telemedien" verschleiert
Im Mai soll der 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag in Kraft treten, doch nach einem RfStV ist vor einem RStV. Schließlich hinken die RStVs der rasanten Entwicklung immer noch weiter hinterher. Und der 22. soll dann "den Telemedienauftrag ... regeln".
Was Telemedien sind? Da hilft ein Blick ins, äh, Telemedium Wikipedia: "Im Zuge der Internetentwicklung kam es im August 1997 zur Ablösung des Bildschirmtext-Staatsvertrages", und "die dort verwendeten, nur schwer voneinander abgrenzbaren Rechtsbegriffe Mediendienst und Teledienst führten wegen der sich verstärkenden Medienkonvergenz zu Anwendungsschwierigkeiten". Denen die Ministerialbeamten der 1990er durch aus das beiden Begriffen neu zusammengesetzte Kunstwort begegneten. Streng juristisch (wirtschaftslexikon.gabler.de) scheint sich der Begriff am besten "negativ" definieren zu lassen, also dadurch, was kein Telemedium ist. Vereinfacht gesagt, meint Telemedien "was mit Internet".
Das mag seinerzeit auf der Höhe gewesen sein; da müsste man Zeitzeugen der Bildschirmtext-Ära befragen. Inzwischen verschleiert der Begriff das Zusammenwachsen aller Mediengattungen im Internet, also ebenjene Konvergenz. Die Frage, ob Googles quasimonopolistisches Videoportal Youtube oder das Netzwerk Facebook Medien sind, also: Verantwortung für die Inhalte, die sie anzeigen, tragen oder unter bestimmten Umständen übernehmen müssten, ist schwierig bis unbeantwortbar.
Was ist "dem Rundfunk zuzurechnen"?
Was Google und Facebook jedenfalls sind: Intermediäre.
"Als Intermediäre werden ... Dienste verstanden, die durch Aggregation, Selektion und Präsentation Aufmerksamkeit für Inhalte erzeugen – seien es eigene oder von anderen erstellte",
erklären die 14 Landesmedienanstalten in ihrem Internetauftritt.
"Gemeint sind damit Suchmaschinen, Soziale Netzwerke, Instant-Messaging-Dienste und Foto-/Videoplattformen",
heißt es im Blog der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (bei der es sich um noch so eine Institution handelt, die aus kaum mehr verständlichen Gründen Regeln für private Fernsehsender, nicht aber für öffentlich-rechtliche aufstellt). Die Überschrift lautet "Beeinflussen Intermediäre die Meinungsbildung?". Wie im skurril-vielfältigen Biotop der Medien-Kontroll-Institutionen Antworten auf solch treuherzigen Fragen gesucht werden, zeigt ein von den Medienanstalten online gestelltes PDF-Dokument: Darin unterstützen diese Anstalten
"die Einschätzung ..., Rundfunkplattformen von den sog. Intermediären abzugrenzen. Plattformen im Sinne des RStV bündeln Rundfunkangebote und bieten diese dem Nutzer an ... Soziale Netzwerke wie Facebook oder Suchmaschinen wie Google erfüllen auch Bündelungs- bzw. Selektionsfunktionen für den Nutzer. Sie erfüllen diese Funktion jedoch insofern in anderer Form, als sie aus einem Gesamtangebot von Inhalten schöpfen, das nur zu einem Teil aus dem Rundfunk zuzurechnenden Angeboten besteht."
Was denn nun "dem Rundfunk zuzurechnen ist", ist ein noch weiteres Feld. Im Zweifel gilt den Medienanstalten als Rundfunk, was sie (nur im privatwirtschaftlichen Sektor!) kontrollieren. So heißt es ebd.: "Im Kabel bspw. erfolgt die Auswahl aus einem endlichen Gesamtangebot. Im Gegensatz dazu ist im Internet das Angebot theoretisch unendlich".
Dass sich überall dort, wo das Internet nicht zu langsam ist, was es in Deutschland freilich vielerorts weiterhin ist, aus dem Netz Bewegtbilder aller Art holen lassen, ist nur ein Aspekt, der diese Sicht zusehends obsolet macht. Zweifellos ist es richtig, Zugänge, die Kabelinfrastruktur-Anbieter oder Fernsehgeräte-Hersteller (die den Begriff "Smart-" ja ebenfalls entern) vermarkten, zu regulieren, wie es die Medienwächer anstreben. Vielleicht hilft dabei sogar der Begriff "(Rundfunk-) Plattformen". Doch wer Suchmaschinen und sogenannte soziale Netzwerke mit in keinerlei Alltagssprache verankerten Sammelbegriffen à la "Intermediäre" belegt, darf sich nicht wundern, wenn solche Bemühungen verpuffen.
Ein Sammelbegriff für Medieninhalte
Wobei ein Begriff vielleicht eine Renaissance verdiente: der Rundfunk. Schließlich wurde der für öffentlich-rechtliche Medien zu zahlende Rundfunkbeitrag (die Ex-"-Gebühr") umbenannt, weil er nun "geräteunabhängig" ist. "Inzwischen lässt sich mit dem Smartphone Radio hören und mit dem Computer fernsehen", heißt's auf der fröhlich bebilderten Seite des ARD-ZDF-Deutschlandradio-Beitragsservices (der Ex-GEZ).
Und tatsächlich wird sehr viel herumgefunkt und -streamt, während andererseits noch mehr mobil via Funk abrufbar ist – im Funkloch weniger gut, nahe der Funkmasten und in Ballungsräumen umso besser. Daraus einen Sammelbegriff für gesendete und abrufbare, lineare und nonlineare Medieninhalte zu schöpfen, die allesamt den wirklich wichtigen Gesetzen entsprechen sollten und ansonsten möglichst frei sein dürften (wobei die Medien, für die alle bezahlen müssen, die öffentlich-rechtlichen, deutlich schärferen Gemeinwohl-Regeln entsprechen müssten) ... könnte das ein Ausweg sein?
Es ist natürlich utopisch. Es wäre niemals ganz zu bewältigende Herausforderung, schon weil mehr Lobbys denn je sich noch heftiger ineinander verkeilen würden. Aber ähnlich sinnvoll wie in auch komplex strukturierten Arbeitsgruppen Begriffe wie "presseähnlich", "Telemedien" und "Intermediäre" konkretisieren zu wollen, wäre es doch.