Was immer demnächst übers Halbjahrtausend-Reformations-Jubiläum gesagt werden wird: An Luther-Darstellungen hat es jedenfalls nicht gemangelt – vom notorischen Playmobil-Männchen über Erlebnisführungen mit verkleideten Reformatoren in vielen Städten bis hin zum üppigen Angebot des Leitmediums Fernsehen.
Die Neuproduktionen der kommenden Tage sendet das ZDF: "Zwischen Himmel und Hölle" ist der Höhepunkt der "Luther-Festspiele im Fernsehen". Den Luther spielt Maximilian Brückner. Der Name Roman Knizkas, der dann am eigentlichen Reformationstag als Luther zu sehen sein wird, wird weniger genannt werden: "Das Luther-Tribunal" firmiert eher als "Doku" beziehungsweise gehört ins Hybridgenre Dokudrama, das wähnt, inszenierte Szenen würden gut in Dokumentationen passen.
Die ARD wiederholt Luther-Filme: natürlich den nach allen Regeln des deutschen Zutaten-Kino-Fernseh-Films mit Hollywood-Prominenz und einheimischen Fernsehstars von Peter Ustinov bis Uwe Ochsenknecht produzierten von 2002. Und den guten "Katharina Luther" aus dem Februar, in dem Devid Striesow die tragende Nebenrolle des Martin spielte. Dass also gleich zwei Luther-Darsteller von 2017 saarländische "Tatort"-Kommissare waren, Brückner und Striesow, ist reiner Zufall, der kaum etwas aussagt. So funktioniert fiktionales öffentlich-rechtliches Fernsehen anno 2017 eben: Es wird so unglaublich viel gedreht, über 200 neue 90-minütige Fernsehspielfilme jedes Jahr, dass sich Querverbindungen aller Art ziehen ließen.
Um 6.30 Uhr im Dritten des MDR
Wer einen der besten deutschen Fernseh-Luthers sehen möchte, muss früh aufstehen (oder Aufnahmegeräte programmieren, was im digitalen Fernsehen ja nicht ganz einfach ist): Von Samstag bis Dienstag zwischen 6.30 Uhr und 7.10 Uhr strahlt der MDR die fünfteiligen Reihe "Martin Luther" von 1983 aus. Solch frühe Sendetermine sind in den meisten Programm-Listings kaum zu finden, aber zum Beispiel auf fernsehserien.de.
Angucken würde sich lohnen. Zunächst weiß man kaum, wer zu den Guten gehört, der joviale Tetzel oder der aufbrausende Mönch, der seine Ablass-Geschäfte kritisiert – schwer vorstellbar im Gegenwartsfernsehen, dessen Macher immer fürchten, dass gleich weiterzappt, wer kurz nichts versteht. Ebenfalls ungewohnt sind die theatralen Gesten und Reden des 1995 verstorbenen Ulrich Thein in der Titelrolle (und weiterer großer Schauspieler wie Hans-Peter Minetti als Tetzel und Otto Mellies als Cranach). Was heute Untermalungsmusik zum Ausdruck bringen soll, versuchten seinerzeit Schauspieler eher mit darstellerischen Mitteln zu verkörpern. So hebt sich auch der weitgehende Verzicht auf Untermalungsmusik wohltuend vom 2010er-Fernsehen ab. Wenn Musik zu hören ist, dann meist aus dem On, wenn etwa Luther mit einem Fiedler übers Land zieht.
Aufwändige TV-Produktionen thematisierten Preußen und Barock-Absolutismus ("Sachsens Glanz und Preußens Gloria" von 1985-87 gehört zu den besten deutschen Fernsehreihen jemals, würde ich sagen), oder die Reformation: Auch der Fünfteiler entstand aus 500-Jahre-Gründen, zu Luthers 500. Geburtstag.
Und im Rückblick wissen alle: Kaum waren die 1980er Jahre vorbei, war Deutschland wiedervereinigt, allerdings nicht im geringsten nach Wünschen der DDR. Noch ein Grund, solche Filme wiedersehen zu wollen.
Wie kommt's zum Sendetermin? Beim MDR – Offenlegung (muss sein, auch wenn Sie's längst wissen): Das Altpapier, das bis August bei evangelisch.de erschien, erscheint inzwischen auf mdr.de – ist man stolz, jedes Jahr am Reformationstag eine Folge des Zyklus zu senden, vergleichsweise nicht zu Unrecht. Zum großen Jubiläum werden sogar alle fünf ausgestrahlt.
Ohnehin zeigt der MDR allerhand ältere Produktionen des DDR-Fernsehens wie "Neues über'n Gartenzaun" und besonders "Polizeiruf 110"-Krimis, sogar schwarzweiße, wenn "Bezug zu den Zuschauern in der Region" gegeben ist. Dabei handelt es sich freilich um Komödien (bzw. "Schwänke", wie man in der DDR gerne sagte) und Krimis - was auf den "Luther" nicht zutrifft (und die gleichnamige Krimiserie, die in ZDF-Programmen manchmal auftaucht, hat mit dem Reformator nichts zu tun ...). Auch DEFA-Kinoklassiker wie "Die Legende von Paul und Paula" werden vergleichsweise oft ausgestrahlt, häufiger jedenfalls als ambitionierte BRD-Filme derselben Zeit in westdeutschen Dritten. Aus den Einschaltquoten zieht man dann Schlüsse. Die gehen dahin, dass bei heutigen Zuschauern "überschaubares" Interesse an solch alten Produktionen herrscht.
Sendeplätze für "Programmschätze"
Dann lieber einen neuen "Tatort" wiederholen oder eine der vielen Degeto-Produktionen, lautet die nachvollziehbare Entscheidung aller Programmplaner, zumal die Rechtefragen in diesen Fällen geklärt sind und eine weitere Ausstrahlung wenig kostet. Weiteres Problem: Ältere Produktionen wie "Luther" 83 dauern oft nicht streng 88-einhalb Minuten wie die 90-Minüter der Gegenwart (damit davor und danach Platz für Trailer bleibt), passen also schlecht ins Programmschema. Überdies bestehen technische Probleme, zum Beispiel droht das "Essigsäuresyndrom" analoges Trägermaterial zu zersetzen. Gerade kündigte der Bayerische Rundfunk daher an, "mehr als 50.000 Filme" systematisch zu restaurieren und digitalisieren. Was dennoch nicht dagegen hilft, dass selbst perfekt restaurierte Filme auf den immer größeren Bildschirmen der Gegenwart dennoch "matschig" wirken können ...
Auf noch ein grundlegendes Problem macht die BR-Pressemitteilung dann aufmerksam, wenn man sie mit "Luther" 83-Sendeterminen gemeinsam betrachtet: Für die "Programmschätze", wie der BR sie mit Recht nennt, gibt es in den 21 öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern eigentlich gar keine Sendeplätze, schon weil alle im Zweifel lieber jüngere "Tatorte"- oder "Terra X"-Wiederholungen zum Auffüllen des Programms und Erhöhen des Marktanteils verwenden.
Sicher erzielen ältere Produktionen keine Spitzen-Einschaltquoten. Aber dass alle 21 Sender, bis hin zu den Kultursendern, zur Hauptsendezeit auf Einschaltquoten setzen und weniger gefällige Sendungen daher selbst in Nischensendern nurmehr in Nischen auftauchen, ist Teil des Akzeptanzproblems, das die Öffentlich-Rechtlichen bereits haben. Warum trauen sich einzelne Sender nicht, aus der allgemeinen Konkurrenz auszuscheren und im Namen des Kulturauftrags eine Nische konsequent auszufüllen? Zum Beispiel die der alten "Programmschätze", die andere Erzählweisen und Sichtweisen bieten?
Auch das hat natürlich Vorgeschichten. Alles ist ja verflixt verkrustet im deutschen Rundfunksystem. So gab es immerhin den Plan eines ARD/ZDF-Streamingportals "Germany's Gold", bis das Bundeskartellamt es im 2013 in grotesker Fehleinschätzung der digitalen Medienentwicklung untersagte. Davon profitiert haben Youtube, Apple und Netflix. Behelfsweise vermarkten die Öffentlich-Rechtlichen das riesengroße Repertoire auf DVD. Den "Luther" 83 auf DVDs anzusehen, die das ARD-eigene Label Studio Hamburg gerade erst wiederveröffentlichte, ist natürlich bequemer als tagelang früh aufzustehen, bloß um fernzusehen.
Also, MinisterpräsidentInnen!..
Andererseits dürfen ARD und ZDF nur solche Sender betreiben, zu denen sie (von den Ministerpräsidenten der Bundesländer) beauftragt wurden. Und die Idee eines Repertoire-Senders war niemals in der engeren Auswahl. Dabei könnte sie eine Ideallösung für einen der 21 Kanallisten-Plätze sein. Sie würde, anders als alle anderen Pläne, die ARD und ZDF hegen, keinem Wettbewerber wehtun. Sie würde das Archiv nutzbar machen, in das Anstalten wie der BR ja investieren, und könnte das Bewusstsein wiederbeleben, dass Fernsehfilme auch eine Kunstform sein können. Im Zuge der inflationären Herstellung von Krimis ud Schmonzetten ging das weithin verloren. Dass auch Dokumentationen vergangener Jahrzehnte oft besser oder interessanter sind als heutige, in denen immerzu Kleindarsteller (oder größere, wie Roman Knizka), Reenactments vollführen, lässt sich zurzeit allein auf Youtube beobachten. Das Kino-"Filmerbe", von dem die Bundeskulturministerin gelegentlich gerne spricht, für das ARD und ZDF aber keine Sendeflächen haben, könnte dort sein Plätzchen finden. Und wer sich über "Matsch" auf sehr großen Bildschirme beschwert, würden immerhin die technischen Vorzüge heutiger Produktionen bemerken ...
Also, Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten: Beauftragen Sie ARD und ZDF, einen Fernsehsender fürs Beste der 1960er, 70er, 80er und 90er zu gründen (oder einen der austauschbaren Kanäle dafür freizumachen)! Das wäre eine der ganz wenigen "Win-Win-Lösungen", bei denen es tatsächlich nur Gewinner gäbe.