Die Lobby-Schlacht um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht wieder los. Schlag auf Schlag kommt flankierendes Material heraus. Erst veröffentlichten "Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft" "10 zentrale Thesen" (zukunft-öffentlich-rechtliche.de). Dann analysierte der deutsche Zweig von McKinsey & Company "Die Rolle des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der heutigen Medienlandschaft" (PDF), nach eigenen Angaben "in Eigeninitiative und ohne Bezahlung".
Viel Expertise braucht es nicht, um zu erraten, dass die Wissenschaftler den Öffentlich-Rechtlichen wesentlich mehr gestatten wollen als bisher, während die eigentlich turbokapitalistischen Unternehmensberater eher das Gegenteil im Schilde führen.
An wen sich die Argumente richten, ist auch klar: Im Herbst werden Vertreter der Bundesländer wieder Entscheidungen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk treffen, vor allem über die künftige Höhe des Rundfunkbeitrags. Das wird zäh, schon allein, weil in den Landtagen derzeit besonders bunte Koalitionen regieren, die auf vielen Politikfeldern um Kompromisse ringen. Die Lobby-Debatten, die auf die ersten zum neuen Rundfunkbeitrag an die Öffentlichkeit gedrungenen Zahlen folgen werden, möchte sich niemand ausmalen.
Die McKinsey-Folien sind interessant, auch weil sie zurückblicken – zum Beispiel (S. 7) auf die "duale Rundfunkordnung (1981)". Das "Duale System" würden die meisten, die man danach fragt, zwar schon für etwas typisch Deutsches halten, aber eher mit der Abfallentsorgung in bunten Tonnen assoziieren. Dass es auch so ein Rundfunksystem gab bzw. sogar noch gibt (aus Medienwächter-Sicht), ist kaum mehr bewusst.
Alle haben recht
Die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Radio und Fernsehen spielt weniger deshalb kaum noch eine Rolle, weil die Inhalte sich jenseits der Werbung kaum unterscheiden. Sondern vor allem, weil lineares Fernsehen und nichtlineares, das natürlich nicht mehr so heißt, einen wichtigeren Unterschied bilden. Streaming-Angebote von Googles Youtube, seinem bei Videos rasant aufholenden Rivalen Facebook und kostenpflichtigen, ebenfalls US-amerikanischen Anbietern wie Netflix und Amazon sind die wichtigsten Konkurrenten des Fernsehens. Das wiederum ist auch in Deutschland längst nicht mehr in die Säulen öffentlich-rechtlich und privat unterteilt, sondern in die dritte der bezahlpflichtigen Pay-TV-Sender ja auch noch. Die deutschen Privatsender scheren sich wenig um ARD und ZDF. Als deren Hauptkonkurrenten betrachten sich die in zwei starken Lobbys organisierten Presse-Verlage. Gerade sprach der Chef des Zeitungsverlegerverbands, Mathias Döpfner, beim BDZV-Jahreskongress in einer seiner Reden von "Staatsfunk" und in Nordkorea-Vergleichen. Diese beiden bilden das "Duale System" der digitalen Gegenwart, das sich arrangieren müsste – und erkennen, welch einen überschaubaren Teil der Medienlandschaft es darstellt.
In dieser nicht neuen, bloß heftigeren System-Debatte haben eigentlich alle recht. Zum Einen die Öffentlich-Rechtlichen, die befürchten mit ihren gut 20 linearen Fernseh- und unzähligen Radiokanälen den Anschluss ans Publikum zu verlieren, wenn sie nicht möglichst viel im Internet machen. Andererseits die privatwirtschaftlichen Verlage, die keine sicheren Rundfunkbeitrags-Einnahmen haben, sondern im Gegenteil mit laufend schrumpfenden Gewinnen aus dem Zeitungsgeschäft Internetinhalte finanzieren müssen, die nicht nur mit denen der Öffentlich-Rechtlichen konkurrieren, sondern auch noch auf irgendeine Weise Geld einspielen sollen.
Erst recht recht hat das Publikum, wenn ihm diese Probleme egal sind (außer beim Top-Aufreger Rundfunkbeitrag). Vielleicht ärgern Fußballfans sich, dass es immer teurer und technisch komplizierter wird, bestimmte Fußballspiele zu sehen. Allerdings könnten solche Fans durchaus Verständnis haben, dass die Bundesliga-Vereine mit den viel rasanter steigenden Videorechte-Einnahmen englischer Clubs mithalten müssen. Ansonsten haben alle mehr als genug zu sehen, zu hören und – falls sie das noch tun – lesen.
Weitgehend in Vergessenheit geraten sind die Streitigkeiten aus den 1980er Jahren, als das oben erwähnte Duale Rundfunksystem eingeführt wurde. Um dem neuen Privatfernsehen Reichweite zu verschaffen, wurden damals in der Kohl-Ära unter Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling ziemlich bundesweit neue Fernsehkabelnetze verlegt.
Netz-Infrastruktur als "Daseinsvorsorge"
Und auch wenn es vor allem darum ging, den neuen Sendern des befreundeten Parteispenders Leo Kirch (denen des SPD-näheren Bertelsmann-Konzerns aber auch ...) Verbreitung zu garantieren, haben sich diese Kabel als zukunftsfähig erwiesen. Ein paar Wirrungen und Jahrzehnte nach der ungeschickten Privatisierung, bei der sie erst mal der neuen Deutschen Telekom zugeschlagen wurde, die aber auch das Telefonnetz besaß und sich nicht selbst Konkurrenz machen wollte, gehören diese einst steuerfinanzierten Infrastrukturen internationalen Konzerne wie Vodafone und Liberty. Wer dort wohnt, wo solche Kabel liegen, kann zwischen mindestens zwei Anbietern für schnelles Internet und viel Fernsehen wählen. Dort funktioniert der Wettbewerb, den Bewohner dünn besiedelter Regionen bekanntlich seit Jahren vergebens fordern. Und das ist nur eine der positiven Folgen der 80er-Jahre-Infrastrukturpolitik. (Dass das deutsche Privatfernsehen eine Zeit lang wirklich vergleichsweise innovativ und gut war und ökonomisch noch immer funktioniert, ist eine weitere.)
Über Infrastrukturpolitik wurde unter dem Schlagwort "Digitalisierung" manchmal im laufenden Wahlkampf gesprochen. Die einzige größere Partei, die die "Telekommunikationsinfrastruktur" zur "öffentlichen Daseinsvorsorge" zählt und wieder in "öffentliches und gemeinwirtschaftliches Eigentum" überführen möchte, ist Die Linke (netzpolitik.org-Wahlprogrammvergleich). Fast klingt das nach der besten Lösung auch für solche mittelständischen Firmen, die irgendwo in einer Provinz immer schnelleres Internet bräuchten, um im weltweiten Wettbewerb mitzuhalten, aber vermutlich nie auf die Idee kämen, links zu wählen.
Das hier ist selbstverständlich keine Wahlempfehlung, schon weil die Linke in der Regierungs-Praxis die Digital-Infrastruktur vermutlich für genau so zweitrangig hält wie alle anderen Parteien, die in den Bundestag einziehen könnten, auch. Aber es führt zur These, dass in den komplizierten Gemengelagen der digitalen Gegenwart eine Art Bundespostministerium wieder sinnvoll wäre. Das könnte die weithin privatisierte Deutsche Post gerne in Ruhe lassen, solange sie die Briefzustellung nicht ganz aufgibt, sich aber um die wichtigen digitalen Infrastrukturen besser kümmern als der noch amtierende Verkehrsminister (der solch einen Titel nebenbei führt, aber ja alle Hände voll mit Autos zu tun hat).
Das würde keine der aktuell anschwellenden Debatten klären. Doch eine zentrale Stelle mit Zuständigkeit für zukunftsfähige Infrastrukturen könnte an vielen Baustellen helfen. Nur zum Beispiel: Die Frage, ob die hierzulande nahezu monopolistische Suchmaschine Google nicht auch Infrastruktur darstellen, wird nur manchmal leise gestellt. Und könnte, was öffentlich-rechtliche Sender denn nun dürfen und nicht, unter infrastrukturellen Gesichtspunkten nicht überzeugender beantwortet werden als es bisher geschieht? So etwas fordert auch die zehnte These der Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft ("Ein Verbreitungsweg neben dem Internet unter öffentlicher Kontrolle muss zukünftig erhalten bleiben").
Einstweilen ist so etwas im deutschen Medien-Föderalismus natürlich utopisch. Bis fürs große Publikum eine Medienkrise sichtbar wird, wird sich wenig ändern. Aber die digitale und damit Medien-Infrastruktur zentral zu stärken, wäre einer der sinnvollsten Schritte, den die nächste Bundesregierung tun kann.