Wolfgang Schürger, erstellt mithilfe von KI (DALL-E von Open-AI).
Homosexualität, Queer, Partnerschaften, Ehe für alle, Gewissensschutz
30 Jahre Queers in den protestantischen Kirchen - alles selbstverständlich inzwischen?
Die EKD-Orientierungshilfe "Mit Spannungen leben" aus dem Jahr 1996 war für Wolfgang Schürger ein wichtiger Schritt zu einer Öffnung der protestantischen Kirchen gegenüber Queers. Junge Queers sehen in ihr heute ein Dokument "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit". Grund für einen Rückblick auf dreißig Jahre Kampf um queere Rechte in der Kirche - und einen Ausblick.

Letzte Woche war Herbsttagung der Landessynode in meiner Landeskirche, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Ganz am Schluss der Tagung stand ein Zwischenbericht zur "AG Queer". Diese Arbeitsgruppe hatten Landessynode und Landeskirchenrat ein Jahr zuvor eingesetzt, weil dreißig Jahre nach der ersten zaghaften Öffnung der bayerischen Landeskirche für queere Menschen die Meinungen auseinandergingen, wie Queers heute in das kirchliche Leben integriert sind.

Die "Ehe für alle" ist in den meisten Landeskirchen inzwischen liturgisch nachvollzogen, Segnungshandlungen anlässlich der Eheschließung (das nämlich ist nach protestantischem Verständnis eine Trauung), sind fast überall möglich. Auch das Zusammenleben im Pfarrhaus ist für queere Paare in der Regel heute unproblematisch. Allerdings gibt es zum Beispiel in meiner Landeskirche nach wie vor einen "Gewissensschutz" für Pfarrerinnen und Pfarrer, die aufgrund ihres Bibelverständnisses und ihrer Sexualethik keine Segnung queerer Paare vornehmen wollen. Die Frage, ob dieser Gewissensschutz nun abgeschafft werden soll, war einer der Auslöser für die oben erwähnte Arbeitsgruppe.

Auf der Rückfahrt von der Tagung saß ich im Zug mit einem schwulen Kollegen und einer lesbischen Kollegin zusammen. Der Kollege lehrt an einer theologischen Fakultät. Vor kurzem hat er in einem Seminar die kirchlichen Stellungnahmen zur Homosexualität in den Blick nehmen lassen. Das Referat zur EKD-Stellungnahme "Mit Spannungen leben" aus dem Jahr 1996 leitete der vortragende Student mit einem Disclaimer ein "Vorsicht, auf den folgenden Seiten finden sich Aussagen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit".

Ich war halbwegs irritiert, denn für mich als jemanden, der Anfang der 1990er Jahre sehr engagiert für eine Öffnung der Kirchen gegenüber Queers eingetragen war, ist "Mit Spannungen leben" ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg dieser Öffnung. Aber natürlich, aus der Distanz von knapp dreißig Jahren muss einem jungen, queeren Menschen dieses Dokument ziemlich anachronistisch vorkommen - oder eben: gruppenbezogen menschenfeindlich. Ablehnenden Haltungen gegenüber Queers gibt das Dokument viel Raum, gelebte Partnerschaften werden nur sehr zurückhaltend befürwortet. Aber eben doch: Das Papier formuliert eine Perspektive für sie. Deswegen war es für uns damals ein befreiendes Dokument, trotz aller Bedenken, die in ihm zum Ausdruck kamen.

Der Kollege und die Kollegin im Zug sind deutlich jünger als ich (nicht in den 1960er Jahren geboren, sondern in den 1980ern), sind aber eben auch keine Mitglieder der Generation X. So konnten auch sie meine Irritation über den Disclaimer nachvollziehen, denn auch in ihrer Wahrnehmung war "Mit Spannungen leben" ein wichtiger Schritt zur Öffnung.

Unser Gespräch konzentrierte sich daher sehr schnell auf die Feststellung, wie viel wir Queers doch in den letzten dreißig Jahren erreicht haben - für kirchliche Verhältnisse eine relativ kurze Zeit, aber auch für staatliche Prozesse noch recht schnell. Auch der "Schwulenparagraph" 175 StGB ist ja erst seit 1994 vollständig abgeschafft.

Einig waren wir drei "Oldies" im Zug uns, dass die Diskriminierungssituationen des letzten Jahrhunderts für die meisten jungen Queers heute kaum mehr vorstellbar sind - und daher so lavierend-abwägende Papiere wie "Mit Spannungen leben" als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit erlebt werden müssen. Große Sorge kam unter uns auf angesichts der Tatsache, dass Meinungsumfragen der jüngsten Zeit zunehmend zeigen, dass gerade die junge Generation zunehmend konservativ denkt und zum Beispiel der Gender- und Diversity-Debatte ablehnend gegenübersteht. Werden die jungen Queers fähig sein, sich argumentativ mit diesem neuen Konservativismus auseinanderzusetzen? Oder werden sie sich so existenziell infrage gestellt sehen, dass sie in die Aggression oder in die Resignation gehen?

Ich merke, dass es mir angesichts dieser möglichen neuen Konflikte wichtig wird, davon zu erzählen, wie wir "damals" gelebt und Widerstände ausgehalten haben. In der Hoffnung, dass junge Queers daraus heute Kraft schöpfen können.
Und ja, mit dem Gewissenschutz für die konservativen Kolleginnen und Kollegen könnte ich durchaus weiter leben - solange diese zugestehen, dass auch unsere queeren Formen des Christseins legitimer Ausdruck lebendigen Glaubens sind. Solche Gegenseitigkeit habe ich auf meinem Weg immer wieder erfahren ...