Vielen sind sie wahrscheinlich schon begegnet, die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz. Mit meist sehr bunten Ordensoutfits sind sie in der queeren Community unterwegs, fotogen platziert bei Großveranstaltungen, aber auch medial weniger wahrgenommen in Bars und Clubs. Fast immer mit dabei: die Spendendose, mit der die Schwestern für die Aids-Hilfe, aber auch für andere Benefizprojekte sammeln.
Der Name der Ordensgemeinschaft spielt mit Begriffen der römisch-katholischen Tradition: „Indulgence“ (aus dem Englischen übersetzTt für "Ablass“), steht aber genauso für „Lebensfreude“. „Perpetual“ heißt „immerwährend, ewig“.
Oft sind es schwule Männer, die sich die Ordenstracht überziehen – und so mancheine:r meint daher, dass die Schwestern einfach eine besondere Form von Drag Queens seien, die vielleicht sogar in gewisser Weise despektierlich mit christlichen Traditionen umgehen.
„Keineswegs“, entgegnet Sr. Magdalena auf solche Vergleiche, „Schwesternsein ist eine Berufung – im klassischen Orden wie bei den Schwestern der Perpetuellen Indulgenz.“ Tatsächlich durchlaufen die Schwestern einen langen Auswahl- und Ausbildungsprozess, in dem sie unter anderem darauf vorbereitet werden, Gespräche über schwierige Lebenslagen zu führen. Beweisen müssen sie in dieser Vorbereitungszeit auch, dass sie vor Publikum frei reden können. Wie im klassischen Ordensleben gibt es für jede der drei Vorbereitungsphasen (Aspirantin, Postulantin, Novizin) genau definierte Kleidungsvorschriften. Erst nach der endgültigen Schwesternweihe darf sich die Schwester im vollen bunten Ornat präsentieren.
„Wir sind keine religiöse Kongregation“, sagt Sr. Magdalena, „aber in der queeren Community, in der viele Menschen immer noch negative Erfahrungen mit den etablierten Kirchen und Religionsgemeinschaften gemacht haben, füllen wir gewissermaßen eine religiöse Leerstelle.“ Sie sei jedes Mal wieder von neuem begeistert, wie viele ihr völlig unbekannte Menschen etwa bei einem CSD zu ihr kommen, sich ihre persönlichen Probleme vom Leib reden und von der Schwester Trost und Segen erwarten – und auch erhalten. „Ja, ich bin Seelsorgerin in solchen Momenten“, sagt Sr. Magdalena, „und manchmal komme ich nach Hause und muss dann selbst erst mal eine Stunde weinen über all die Geschichten, die ich gehört habe.“
Ihr selber helfe in solchen Momenten dann sehr, dass sie selbst eine tiefe christliche Gottesbeziehung hat: In einer protestantischen Gemeinde aufgewachsen hätte sie auch während ihres Coming Outs nie Probleme mit dem Glauben gehabt, sondern viel Unterstützung erlebt. Die ökumenische Gemeinschaft in Taizé ist ihr zur spirituellen Heimat geworden, dort hat sie sogar ein Jahr als Freiwillige mitgearbeitet. Die Liebe Gottes, die sie so tief erfahren hat, will sie anderen in der Community durch ihre Schwestern-Arbeit weitergeben – meist freilich in einer nicht-christlichen Form.
Für Sr. Magdalena ist dies das Beeindruckende an der Arbeit der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, dass alte Rituale wie der Segen auch in einer säkularen Form Wirkung entfalten können. "Möge sich dein Geist öffnen für die farbenfrohe Welt in all ihren wunderbaren Facetten. Möge sich dein Herz weiten für Menschen, die dir fremd und unnahbar erscheinen. Und möge deine Freude am Leben unstillbar sein. Du bist gesegnet." so schließt sie jeden Segensspruch für einen Gesprächspartner – dem sie vorher möglichst persönliche Worte hat zukommen lassen.
Sr. Magdalena ist eine der wenigen Schwestern, die wirklich einen tiefen religiösen Hintergrund haben. „Die meisten sind Agnostiker oder Atheisten – aber auch dieses Miteinander finde ich wahnsinnig spannend.“ Im alltäglichen Leben ist Sr. Magdalena Lehrerin an einer Realschule und lebt verheiratet mit einer Frau. „Ich wollte mich schon lange in der queeren Szene engagieren, aber gleichzeitig nicht sofort von Schüler:innen erkannt werden. Das Schwestern-Outfit schafft für mich den perfekten Freiraum.“ Im deutschen Raum ist sie eine der sehr wenigen Cis-Frauen in der Schwesternschaft, schwule Männer bilden die eindeutige Mehrheit.
Das hängt natürlich auch mit der Entstehungsgeschichte der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz zusammen: Die Ursprünge der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz reichen bis in die 1970er Jahre zurück, sie finden ihre Grundlagen in vielerlei künstlerischen, politischen und spirituellen Strömungen, die während der Jahre um 1968 insbesondere an der Westküste der USA entstehen.
Am Ostersamstag 1979 treten in San Francisco die ersten „Sisters“ in Erscheinung. Die Schwestern veranstalten ungewöhnliche Aktionen und sind politisch aktiv, indem sie an Protestmärschen und Demonstrationen teilnehmen, ihre Aktionen haben aber auch eine spirituelle und künstlerische Dimension. Viele neue Schwestern aus der Bewegung der Radical Faeries und der schwulen Kunst-Avantgarde finden den Weg in den Orden und prägen das Bild der Schwestern nachhaltig.
1982 beginnt sich Aids in San Francisco massiv auszubreiten. So beschließen die „Sisters of Perpetual Indulgence“ die weltweit erste Safer-Sex-Broschüre, „Play Fair“, herauszugeben, welche eine sexuell-positive Sprache benutzt, praktische Ratschläge zur Prävention von sexuell übertragbaren Krankheiten und Safer-Sex-Praktiken gibt und humorvoll ist, ohne dabei den „moralischen Zeigefinger“ zu erheben. Aids-Arbeit beginnt sich als ein Schwerpunkt der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz herauszukristallisieren. Gleichfalls sind sie mit die ersten, die eine Benefizveranstaltung zugunsten der damals noch neuen, unbekannten Krankheit Aids unter Schirmherrschaft der Schauspielerin Shirley McLaine veranstalten.
Aus den ursprünglich „schwulen Männern im Nonnenfummel“ entwickelt sich im Laufe der Jahre das heutige Aussehen der Schwestern. Das wohl augenfälligste weltweit gemeinsame Merkmal ist das weiß grundierte und bunt geschminkte Gesicht. Bis auf einige regionale Ausnahmen sind alle Schwestern daran sofort zu erkennen. Das weiß grundierte Gesicht symbolisiert den Tod, ein klarer Bezug auf die Aids-Epidemie, welchem aber durch die jeweils individuellen und farbigen Akzente das Leben und die Freude entgegengesetzt werden.
Die ursprünglich nur aus schwulen Männern bestehende Gruppe öffnet sich im Laufe der Zeit auch für andere Mitglieder. Heute sind Menschen aller geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen im Orden vertreten.
Seit 1981 breitet sich die Schwesternschaft über San Francisco hinaus aus. Das erste Ordenshaus außerhalb der USA wird 1984 in Sydney gegründet. In Europa entstehen seit 1987 Ordenshäuser, so in Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Während der 1990er Jahre entstehen Ordenshäuser in Kolumbien, Chile und Uruguay, was besonders bemerkenswert ist, denn dort öffentlich homosexuell aufzutreten ist bis heute immer noch äußerst gefährlich. Zuletzt entstehen aus den etablierten Ordenshäusern in den 2000er Jahren viele neue Missionen und Häuser in den USA und in Europa.
Derzeit gibt es weltweit etwa 2000 Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, die sich dem Dienst an der Gemeinschaft, der Verbreitung von Freude und Bewusstsein und insbesondere dem Kampf gegen HIV und Aids – und natürlich auch allen anderen sexuell übertragbaren Infektionen – verschrieben haben. Im Laufe der Jahre wurden durch die internationale Schwesternschaft weltweit mehrere Millionen US-Dollar für HIV- und Aids-Projekte gesammelt und tonnenweise Informationsbroschüren, Kondome und anderen Safer-Sex-Utensilien verteilt.
Der Name spielt übrigens bewusst mit Begriffen der römisch-katholischen Tradition: „Indulgence“ ist die englische Übersetzung für „Ablass“, kann aber genauso für „Lebensfreude“ stehen. „Perpetual“ heißt „immerwährend, ewig“. Als Botschafterinnen der immerwährenden Lebensfreude sehen sich die Schwestern – selbst in den schweren Zeiten der Aids-Pandemie.
Weblinks:
https://www.indulgenz.de/ (dort auch die Geschichte der Ordensgemeinschaft)