Am 9. Juni sind Wahlen zum Europaparlament, im September werden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen die Landtage neu gewählt, in verschiedenen Landeskirchen finden über das Jahr verteilt auch die Wahlen zum Kirchenvorstand statt – in meiner Kirche (der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern) am 20. Oktober.
In Thüringen und Sachsen könnte die Alternative für Deutschland (AfD) möglicherweise zur stärksten Partei werden – obwohl die Landesverbände in Sachsen und Thüringen vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingeordnet werden.
Rechtsextreme Gesinnung führt immer wieder zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die gerade auch uns queere Menschen treffen kann. Der Münchner CSD hat daher sehr bewusst für dieses Jahr das Motto gewählt „Vereint in Vielfalt – gemeinsam gegen Rechts“. Zur Begründung heißt es auf der Webseite des CSD: „Die Aussichten auf einen Durchbruch rechter Parteien bei den Wahlen in Europa dieses Jahr, der Hass und die Gewalt gegen queere Menschen ließen uns einfach keine andere Wahl. Das zeichnete sich lange vor der Berichterstattung von Correctiv ab. ‚Als vulnerable Gruppe spüren queere Menschen schnell, wenn Leben und Freiheit bedroht sind‘, sagt Thomas Niederbühl, Rosa Liste Stadtrat und unser politischer Sprecher. Deshalb sei es auch so wichtig zusammenzustehen, mit der Zivilgesellschaft wie innerhalb der Community. ‚Jeder Angriff auf einen Teil unserer Community ist ein Angriff auf unsere queere Community als Ganzes und damit auf jede:n einzelne:n von uns.‘ Tatsächlich schlägt sich die rechte Hetze gegen LGBTIQ* im Allgemeinen und gegen das Selbstbestimmungsgesetz im Besonderen längst auch in der Gewaltstatistik einer Organisation wie Strong!, der LGBTIQ*-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt in Bayern nieder.“
Der Münchner CSD ist bekannt für die Vielfalt der queeren Vereine, die mit ihren Wagen und Ständen den Pride-Umzug und das Pride-Wochenende prägen. Sie vereinen sich hinter diesem politischen Motto – aber wie politisch aktiv werden sie selbst? Ein Blick in die Satzungen von drei der größeren Vereine, nämlich GOC-Gay Outdoor Club, Team München e.V. und dem Münchner Löwen Club zeigt, dass sich alle drei als „parteipolitisch neutral“ verstehen und die Vielfalt unter den Mitgliedern fördern wollen. Doch geht das noch, sich in die jeweilige queere Nische zurück zu ziehen, wenn politische Gruppierungen und Parteien diese Vielfalt in Frage stellen? Und wie anfällig sind Menschen in der queeren Community womöglich selbst für rechtsextreme Gesinnung?
Ich erinnere mich noch gut an die schwulen Skinheads zu meiner Studienzeit in den 1980er Jahren: Für Außenstehende waren sie kaum von den Skinheads der verschiedenen rechtsextremen Gruppierungen der damaligen Zeit zu unterscheiden. Kam man mit ihnen ins Gespräch, dann gab es kaum jemanden, der eine rechtsextreme Gesinnung zeigte – die meisten fanden Skin-Sein einfach cool. Und zur Unterscheidung von den rechten Skinheads trugen die schwulen Skins farbige Schuhbänder in ihren Stiefeln (die rechten dagegen weiße). Für mich freilich blieb damals schon die offene Frage, ob es nicht einen „Beigeschmack“ hat, mit einem Fetisch zu spielen, dessen politisch begründete Version für uns als Gruppe bedrohlich werden kann (oder schon ist). Dieser Eindruck verstärkte sich während meines Studienaufenthalts in Brasilien. War ich in der deutschen Szene damals gerne in Leder unterwegs, musste ich in Brasilien feststellen, dass Macho-Outfits (wie sie natürlich auch der Ledermann verkörpert) in der Szene so gut wie nicht vorkamen. Der real existierende Machismo in dem Land führte regelmäßig zu Hassverbrechen gegen offen schwul lebende Männer.
Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat bereits im Dezember 2023 sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und völkisch-nationale Gesinnung in deutlichem Widerspruch zum christlichen Glauben stehen (Link zur Synodenerklärung). Explizit nennt die Synode die AfD als Partei, in der solche Haltungen immer stärker zum Ausdruck kommen: „Die menschenverachtenden Haltungen und Äußerungen insbesondere der rechtsextremen Kräfte innerhalb der AfD sind mit den Grundsätzen des christlichen Glaubens in keiner Weise vereinbar.“ Mit Blick auf die Wahlen des Jahres 2024 ruft sie dazu auf, Parteien „aus dem demokratischen Spektrum zu wählen, die sich für eine offene Gesellschaft der Vielfalt und ein gerechtes, demokratisches Gemeinwesen einsetzen“.
Noch deutlicher wird die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer Erklärung vom 22. Februar diesen Jahres. Die Bischöfe schließen darin ausdrücklich eine haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeit von Menschen aus, die eine völkisch-nationale oder rechtsextreme Gesinnung teilen: „Nach mehreren Radikalisierungsschüben dominiert inzwischen vor allem in der Partei 'Alternative für Deutschland' (AfD) eine völkisch-nationalistische Gesinnung. Die AfD changiert zwischen einem echten Rechtsextremismus, den der Verfassungsschutz einigen Landesverbänden und der Jugendorganisation der Partei attestiert, und einem Rechtspopulismus, der weniger radikal und grundsätzlich daherkommt. Der Rechtspopulismus ist der schillernde Rand des Rechtsextremismus, von dem er ideologisch aufgeladen wird. In beiden Fällen wird stereotypen Ressentiments freie Bahn verschafft: gegen Geflüchtete und Migranten, gegen Muslime, gegen die vermeintliche Verschwörung der sogenannten globalen Eliten, immer stärker auch wieder gegen Jüdinnen und Juden. Wir sagen mit aller Klarheit: Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar. Die Verbreitung rechtsextremer Parolen – dazu gehören insbesondere Rassismus und Antisemitismus – ist überdies mit einem haupt- oder ehrenamtlichen Dienst in der Kirche unvereinbar.“
Die Kirchenleitung meiner eigenen, bayerischen Landeskirche hat gerade eine ähnlich deutliche Unvereinbarkeitserklärung veröffentlicht.
Die großen Demonstrationen „gegen rechts“ seit Anfang dieses Jahres sind immer wieder als „Brandmauern“ gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bezeichnet worden. Viele von uns waren dabei – aber längst nicht alle queeren Vereine haben ihre Mitglieder zur Teilnahme aufgerufen, weil sie das zum Teil mit ihrer parteipolitischen Neutralität nicht für vereinbar hielten. Die deutlichen Voten der Kirchenleitungen sollten eine Ermutigung sein, dass wir auch als queere Community in all unserer Vielfalt an dieser Brandmauer mit bauen – und in unseren Vereinssatzungen die Verpflichtung zur parteipolitischen Neutralität so eingrenzen, dass sich der Verein klar gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Diskriminierung, Hass und Ausgrenzung stellt.
Zur Vertiefung: Webseite der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus