2024
Daniel Karmann/dpa
Das pinke Auswärts-DFB-Trikot wurde am 13.03.2024 vorgestellt.
Fußballnationalmannschaft der Männer
Pink-Alarm
Seit der Vorstellung des pinken Auswärtstrikots der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer herrscht in den sozialen Medien auf allen Kanälen Pink-Alarm. Was verrät diese Empörungswelle über deutsche Wohnzimmer?

Bei der Fußball EM 2024 werden die Herren der deutschen Fußball Nationalmannschaft ein Auswärtstrikot tragen, das pink und lila ist. Es soll – laut DFB - die neue Generation deutscher Fußballfans repräsentieren und für die Vielfalt des Landes stehen. Einige feiern seitdem das Trikot. Andere reagieren mit Entsetzen. 

„Unmännlich“, „undeutsch“, barbiemäßig…“ sind nur einige der empörten Kommentare, die in den sozialen Medien und auf allen medialen Kanälen rauf und runter geschrieben und gerufen werden. Oder: „Heute verschwulen wir Deutschland und morgen die ganze Welt. Der perfide Plan der deutschen Eliten.“ Oder: „Sind die jetzt alle schwul, oder spielen die noch Fußball?“ Oder: „Pink ist das neue schwarz – rot – gold. Nationalmannschaft blamiert sich schon vor dem ersten Anpfiff!“. Oder: „Tussy-Alarm! Warum die deutschen Fußballer Schwächlinge geworden sind.“

Ästhetisch gäbe es zu pinken Trikots sicherlich vieles zu sagen. Aber darum geht es nicht. Auf der Hinterbühne der Debatte geht es um etwas ganz anderes. Nämlich: Entweder bist du schwul oder ein richtiger Mann und sportlich. Beides auf einmal geht nicht. Die klischeehafte Darstellung eines feminisierten und unsportlichen schwulen Mannes wird als plumpe Zuschreibung immer wieder aufgerufen und für die je eigenen Zwecke genutzt. Auf dieser Grundlage schwingt sich die Empörungsspirale zu immer neuen Höheflügen auf. 

Klar ist auch, dass die klischeehaft gezogene Verbindung zwischen pink und schwul abgelehnt und von vielen mit Entsetzen quittiert wird. So nach dem Motto: Ist es jetzt endgültig aus mit der Männlichkeit unserer Fußballstars? Dann steht der Untergang des Abendlandes ganz sicher unmittelbar bevor. 

Es ist das Jahr 2024 und die Farbe pink polarisiert immer noch? Echt jetzt? Das kann doch nicht wahr sein! Dabei spielt Lionel Messie seit einem Jahr bei Inter Miami komplett in einem pinken Trikot, und niemand scheint sich darüber aufzuregen. Und auch das erste Trikot des Fußballclubs Juventus Turin im Jahr 1897 hatte fast die gleich Farbe. Was ist also das Problem?

Die Mehrheit der Menschen weltweit ist ganz offensichtlich seit Jahrzehnten bis heute durch geschlechtsspezifische Mythen und Werbestrategien sozialisiert worden. Es zeigt sich darin, dass die gesamte Kleidung, alle Spielsachen und Accessoires von Kindern und jungen Erwachsenen fein säuberlich und streng binär nach hellblau für Jungs und pink für Mädchen eingeteilt worden sind. Und an diesen Farben kleben bis heute auch die dazugehörigen geschlechtsspezifischen Informationen, die mit eingekauft werden: Jungs sind mutig, stark und sportlich, echte Draufgänger und coole Anführer, blau eben. Und Mädchen spielen mit Puppen, sind emotional, niedlich und süß, rosa eben.

Gleichzeitig wirkt auch die ideologische Bildersprache des rosa Winkel nach, den die Nationalsozialisten schwulen Männern in den Konzentrationslagern an die Häftlingskluft nähen ließen. Personen mit rosa Winkel fanden sich nach vielen historischen Untersuchungen stets am untersten Ende der Häftlingshierarchie wieder. Sie wurden von anderen Häftlingen verhöhnt und ausgegrenzt und konnten kaum auf Solidarität und Unterstützung der anderen hoffen. Dadurch hatten sie noch weniger Chancen, in den Konzentrationslagern und Gefängnissen zu überleben. Nichts war schlimmer als schwul oder transgeschlechtlich zu sein.  

In der zweigeschlechtlich und heteronormativ organisierten Farbenwelt wird kein Zweifel gelassen, wer wie zu sein hat, um männlich und sportlich zu sein. Pinke Kleidung zu tragen, gehört nicht dazu. 

Dass Frauen in allen Sportarten mittlerweile gezeigt haben, dass sie genauso tough, sportlich und fußballversessen sind wie Männer? Nicht angekommen? Warum nicht? 
Dass queere Personen genauso viel oder wenig sportlich sind wie der Rest der Bevölkerung. Kann nicht sein? Oje, wir sind wirklich noch nicht weit gekommen!

Das traditionelle binäre Menschenbild wirkt und wirkt und wirkt. Es geht von einer engen heteronormativen und zweigeschlechtlichen Ordnung aus. Da passen Personen, die für vielfältige Identitäten im Hinblick auf Hautfarbe, Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentitäten stehen, nicht gut hinein. Und die sollen alle auch sportlich sein können? Das ist für viele immer noch schwer verdaulich, im harten Männerfußball allzumal.

Im Hinblick auf die Farbe pink gibt es aber auch interessante Informationen: Die Farbe rosa soll stärker auf die Psyche der Menschen als jede andere Farbe wirken. Sie soll Aggression und Gewalt besänftigen. Hyperaktive Menschen werden ausgeglichener und ruhiger. Ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht für den deutschen Männerfußball?

Und die Farben des Glaubens? Sie stehen nach meiner Überzeugung für die Vielfalt des Lebens. Gott selbst hat den Menschen den Regenbogen als Bundeszeichen geschenkt als Erinnerung daran, dass Gott die Erde und die Menschen nicht zerstören wird, sondern alles, was ist, gesegnet hat. 

Auch die christlichen Gemeinden und Gemeinschaften sind seit der urchristlichen Zeit bunt und vielfältig, wie es schon der Apostel Paulus in seinem Bild vom Leib Christi (1. Korinther 12) beschrieben hat. Der eine Leib Christi hat viele ganz unterschiedliche Glieder. Alle sind wichtig, alle sind einzigartig, alle sind anders. 

Vielleicht sollten die Fußballer der deutschen Nationalmannschaft zur EM bei jedem Spiel ein Trikot in einer anderen Farbe tragen? Denn sie repräsentieren im Hinblick auf Herkunft, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit tatsächlich schon lange die Vielfalt der deutschen Gesellschaft. Andererseits geht es „nur“ um das umstrittene Auswärtstrikot der Nationalmannschaft, das pink sein wird. Da die EM 2024 aber in Deutschland stattfinden wird, spielt das deutsche Team vermutlich ja doch nur in Weiß mit schwarz, rot, gelben Farbstreifen an den Ärmeln. Oder etwa nicht?

So oder so, der mediale Pink-Alarm nach der Vorstellung des Auswärtstrikots der Männer der deutschen Fußballnationalmannschaft sagt viel aus über die Vorurteile und Geschlechterklischees der deutschen Wohnzimmer-Fußballexpert:innen und ziemlich wenig über das Team der deutschen Fußballnationalmannschaft.